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Ich habe das schockierende Ausmaß an psychischem Leid gesehen, das die Schulschließungen auf Jugendliche haben

Mit dem Schließen der Schulen wurden Millionen von Jugendlichen zu Hause eingesperrt, wo ihr normales Leben plötzlich eingefroren wurde, so dass sie sich nur noch in den Sozialen Medien bewegen können. Es sind Umstände, die kaum schlechter sein könnten, und sie führen zu psychischen Problemen wie Essstörungen.

Bislang gab es in meinem Krankenhaus noch keinen Fall eines Schülers, der an einem schweren Fall einer Covid-19 Infektion litt – aber ich konnte seit Beginn der Pandemie eine beträchtliche Anzahl jungen Menschen erleben, deren Zustand als Nebenwirkung der Schulschließungen potenziell lebensbedrohlich ist.

Mit zu den häufigsten Leiden gehören Essstörungen wie wie die Magersucht. Es begann im April zu Beginn der landesweiten Beschränkungen, als die Hälfte unserer stationär behandelten Kinder an Essproblemen litten. Damit hatte damals niemand gerechnet, im Nachhinein jedoch überrascht es kaum.

Sämtliche Risikofaktoren – Einsamkeit, Kontrollverlust, zerrüttete Routinen, Fehlinformationen, der Zerfall von Freundeskreisen – trafen aufs Mal auf und ergaben zusammen einen perfekten Sturm.

Davor kam ich vielleicht eine Überweisung pro Woche wegen eines Minderjährigen mit Essstörungen. Heute bekomme ich in der Woche drei bis fünf.

Anorexie und andere restriktive Essstörungen können außerordentlich ernste Folgen haben, in einem Fall von zehn stirbt der Patient.

Die Implikationen, die sich in diesem Zusammenhang aus der derzeitigen Politik ergeben, sind krass: Junge Menschen entwickeln psychische Erkrankungen, an denen sie noch jahrelang leiden werden, und die einige von ihnen das Leben kosten wird. All das, weil die Schulen dicht gemacht wurden und sie von der Regierung weggesperrt werden.

Zu Beginn der Pandemie waren vor allem junge Menschen betroffen, die auch davor schon an psychischen Problemen litten. Das abrupte Aussetzen des normalen Lebens wirkte sich auf sie so überwältigend aus, dass einige sofort in den Krisenmodus abglitten und das Essen verweigerten.

Für ihre Familien war das ein kaum zu bewältigender Zustand, während die pädiatrischen Abteilungen der Krankenhäuser vor einer großen Herausforderung standen. In Zusammenarbeit mit Spezialisten für psychische Erkrankungen mussten wir Wege finden, diesen Patienten Flüssigkeit und Nahrung zuzuführen.

Verweigert ein Kind die Kooperation, dann stehen die Ärzte vor der schwierigen Entscheidung, den Patienten gegen seinen Willen am Bett zu fixieren, um diesem über eine intravenöse Infusionen mit den notwendigen zu versorgen. Diese Praxis wird nur bei den extremsten Fällen angewandt, wenn das Leben unmittelbar in Gefahr ist. Die Freigabe muss überdies über eine Diagnose im Rahmen der Psychiatriegesetzgebung erfolgen, da nur sie es erlaubt, einen Patienten zu „sezieren“.

Man kann sich denken, dass ein derartiges Vorgehen für alle Beteiligten sehr belastend ist und normalerweise nur in speziellen psychiatrischen Einrichtungen vonstatten geht.

Als dann jedoch im Rahmen der Pandemiebekämpfung verschiedene Regeln wie das Abstand halten eingeführt wurden, kamen die zuständigen Abteilungen noch mehr unter Druck, da zudem Betten für Covid-19 freigehalten werden mussten, weshalb einige der intravenös versorgten Patienten auf den allgemeinen pädiatrischen Stationen behandelt werden mussten.

Das war alles noch während der ersten Welle der psychischen Störungen. Nicht bemerkt hatten wir damals, dass eine zweite Welle von Essstörungen unbemerkt während des ersten Lockdowns stattfand. Das wahre Ausmaß der mentalen Krise für Jugendliche wurde erst deutlich, als die Schulen im September wieder öffneten.

Für Eltern kann es schwierig sein, die Symptome von Anorexie und Bulimie zu erkennen. Die Betroffenen sind instinktiv gut darin, ihr Verhalten und ihre Gewichtsabnahme zu verschleiern.

Ich rate Eltern stets, auf Warnzeichen zu achten, wie etwa wenn das Kind nicht an Familienmahlzeiten teilen will, wenn es auf Lieblingsleckereien wie Schokolade oder Kekse, oder wenn es direkt nach einer Mahlzeit zur Toilette eilt oder andere zwanghafte Rituale entwickelt.

Oft bleiben diese Signale jedoch zu Hause unbemerkt.

Als die Schulen endlich wieder offen waren, da berichteten Lehrer und Mitschüler aus dem ganzen Land über schockierende Veränderungen bei einigen der Schüler. Essstörungen betreffen typischerweise hoch motivierte junge Menschen, die es gewohnt sind, sich anzustrengen, um ihre Ziele zu erreichen. Der beispiellose Effekt der Schließungen bestand darin, dass diese anvisierten Ziele urplötzlich entfielen. Kinder, die sich auf Prüfungen oder Sport oder Tanz und Theater konzentriert hatten, mussten plötzlich feststellen, dass sie von diesen Dingen – immerhin den Grundlagen ihres Alltagslebens – entwurzelt waren. Das wirkte sich verheerend aus.

Die Gehirne von Jugendliche sind noch in der Entwicklung. Ihnen fehlt die Perspektive und der Abstand zu ihrem Handeln, der erst mit der vollen Entwicklung des Gehirns und der Lebenserfahrung entsteht. Mit 14, 15 oder 16 Jahren kommt ihnen ein Jahr wie ein ganzes Leben vor, ihre gegenwärtigen Ziele sind von größter Bedeutung.

Hinzu kommen die wachsenden Instinkte nach Unabhängigkeit, wie es bei Jugendlichen normal ist. Die Jugend ist ein Lebensabschnitt, in dem wir uns allmählich von unseren Familien lösen und unsere Individualität entwickeln, und in dem wir unsere eigenen Interessen entdecken und neue Freundschaften und persönliche Beziehungen knüpfen.

Wer in dieser Phase ausschließlich mit den Eltern im Haus eingesperrt ist, für den entsteht eine unmögliche Situation, da der innere Drang völlig unterdrückt werden muss. Im Ergebnis degenerieren bei einigen gesunde Interessen wie Ernährung oder Sport zu ungesunden Obsessionen.

Das ist besonders nach Weihnachten gefährlich, wenn sie unsere Essgewohnheiten ohnehin ändern. Wer in dieser Situation nur noch Hause sitzt, für den ist es sehr verlockend, sich in die Sozialen Medien abzutauchen, anstelle sich mit Lernmaterial zu beschäftigen – während es im Internet geradezu wimmelt von gefährlichen Fehlinformationen zum Thema Essen.

Wer dann erst einmal eingetaucht ist, für den ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zu Seiten, auf denen Magersucht und Bulimie als erstrebenswert hingestellt werden. Der Zerfall der psychischen Gesundheit ist dann nur noch eine Frage der Zeit.

Sobald sich die jungen Menschen wieder jeden Tag in der Schule treffen, können sie sich mit kleinen Mitteln gegenseitig unterstützen. Alleine die regelmäßigen Gespräche mit Freunden in den Unterrichtspausen ist ein guter Weg, wieder ein Stück normales Leben zurückzugewinnen.