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Die deutschen Ursprünge des Pandemievertrags
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Die deutschen Ursprünge des Pandemievertrags

Robert Kogon

Während die WHO auf die Verabschiedung des „Pandemievertrags“ und die Revision ihrer Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) zusteuert, die einige sachkundige Beobachter für noch folgenreicher halten, scheint die vorherrschende Theorie unter den Gegnern zu sein, dass diese Änderungen die Macht der WHO-Bürokratie und damit die privaten Interessen, die sie angeblich kontrollieren, festigen werden.

Doch auf den ersten Blick macht diese Theorie wenig Sinn. Schließlich ist die WHO – wie die UN oder die WTO – eine internationale Organisation, in der Verhandlungen zwischen den Mitgliedsstaaten stattfinden. Private Quellen können noch so viel Geld beisteuern, das gibt ihnen zwar Einfluss, aber keinen Sitz am Verhandlungstisch und keine Stimme. Ohne konkrete staatliche Unterstützung wäre ein Projekt wie der Pandemievertrag und die damit verbundenen Revisionen der IGV gar nicht möglich.

Und siehe da, wenn wir weit genug zurückgehen – in eine Zeit, in der kaum jemand den Begriff „Pandemievertrag“ schon einmal gehört hat – entdecken wir, dass der Vertrag sehr wohl einen staatlichen Sponsor hatte, und dass es sich dabei – wenig überraschend – um den gleichen Staat handelte, der, wenn auch der breiten Öffentlichkeit unbekannt, die treibende Kraft hinter der Covid-19-„Pandemiereaktion“ der WHO war: nämlich Deutschland.

In Anlehnung an den damaligen deutschen Gesundheitsminister Jens Spahn titelte die DPA am 24. Mai 2021: „Spahn drängt auf internationalen Vertrag: Wie die WHO eine neue Pandemie verhindern will“.

In dem Artikel geht es aber eigentlich nicht darum, wie die WHO eine zukünftige Pandemie verhindern will, sondern vielmehr darum, wie Deutschland eine zukünftige Pandemie verhindern will. So heißt es im beigefügten Klappentext: „Wie kann eine Katastrophe wie die Coronapandemie in Zukunft verhindert werden?“ Mit einem UN-Vertrag, glauben Deutschland und andere Länder. Auf der WHO-Tagung wollen sie den Widerstand anderer Länder brechen“.

Weiter heißt es, Deutschland und seine Verbündeten wollten die an diesem Tag beginnende Jahrestagung der WHO nutzen, um „den Startschuss für eine internationale Pandemiekonvention zu geben“.

Und so kam es auch.

Am Ende der Jahrestagung, wenige Tage später, veröffentlichten die damalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von zwei Dutzend anderen führenden Politikern aus aller Welt eine gemeinsame Erklärung, in der sie den Abschluss einer Pandemiekonvention forderten. Unter den Unterzeichnern befanden sich viele offen gesagt unbedeutende Persönlichkeiten wie die Premierminister von Fidschi und Trinidad und Tobago sowie die Chefs internationaler Organisationen – darunter kein Geringerer als WHO-Generaldirektor Tedros -, aber auch etwas gewichtigere wie der damalige britische Premierminister Boris Johnson und der französische Präsident Emmanuel Macron.

„Die Staaten müssen sich zur Zusammenarbeit und zur Umsetzung gemeinsam festgelegter Regeln verpflichten“, sagte Spahn der DPA. „Damit es nicht beim Lippenbekenntnis bleibt“, heißt es weiter,

Geplant ist ein rechtlich verbindlicher Vertrag: Wer mitmacht, muss sich daran halten. Eine Art Zwang soll entstehen: Nichtkooperation könnten sich dann praktisch nur noch Schurkenstaaten leisten, die mit internationaler Verurteilung rechnen müssten.

Apropos private gegen staatliche Interessen: Zu diesem Zeitpunkt, Mitte 2021, war Deutschland an der Bill & Melinda Gates Foundation vorbei zum größten Geldgeber der WHO aufgestiegen und hatte seinen Beitrag über Nacht fast vervierfacht, eine Finanzierungsmaßnahme, die im DPA-Bericht ausdrücklich mit dem Wunsch der WHO in Verbindung gebracht wird, weltweit führend in der Prävention und Reaktion auf Pandemien zu werden. Damit beläuft sich der deutsche Beitrag für die Finanzierungsperiode 1.15-2020 auf knapp 21 Milliarden US-Dollar (siehe hier).

Die gesamten zusätzlichen Mittel waren natürlich freiwillig (der gesetzliche Beitrag Deutschlands als Mitgliedsstaat betrug lediglich 5 Prozent der Gesamtsumme) und fast alles davon war genau für das Covid-19-Reaktionsbudget der WHO vorgesehen. Im Gegensatz dazu floss der Großteil der Mittel der Gates-Stiftung wie in den Vorjahren weiterhin in die Polioausrottung. (Siehe Flussdiagramm hier).

Genauer gesagt: Während der Gesamtbeitrag Deutschlands zum WHO-Haushalt den der Gates-Stiftung deutlich überstieg, stellte der spezifische Beitrag zum Covid-19-Reaktionsbudget den der Gates-Stiftung in den Schatten. Die folgenden Grafiken aus der WHO-Datenbank verdeutlichen dies für das Jahr 2020: Der deutsche Beitrag in Höhe von 425 Millionen US-Dollar liegt mit Abstand an der Spitze, die Gates-Stiftung mit nur 15 Millionen US-Dollar sogar hinter Ländern wie dem Jemen!

Im Jahr 2021 würde Deutschland immer noch an der Spitze stehen, aber die Europäische Kommission unter der Führung der ehemaligen deutschen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen würde nun (mit Abstand) auf den zweiten Platz vorrücken. Die Zusagen Deutschlands (406 Millionen US-Dollar) und der Kommission (160 Millionen US-Dollar) würden zusammen etwa die Hälfte des gesamten Covid-19-Budgets der WHO ausmachen. Der Beitrag der Gates-Stiftung würde sich auf lediglich 10 Millionen US-Dollar reduzieren. (Siehe WHO-Datenbank hier, Auswahl „SPRP 2021“ und zur weiteren Diskussion meinen früheren Artikel hier).

Darüber hinaus hat Deutschland nicht nur die Covid-19 Reaktion der WHO massiv finanziert. Es war innerhalb der Organisation auch einzigartig gut positioniert, um Einfluss auf die Entwicklung des Pandemievertrags und die Revisionen der Internationalen Gesundheitsvorschriften zu nehmen.

So heißt es im DPA-Bericht, dass „eine Expertenkommission der WHO unter Leitung von Lothar Wieler, dem Direktor des Robert-Koch-Instituts“ die schnelle Entsendung von „Krisenteams“ in das Gebiet eines „Pandemieausbruchs“ empfohlen habe. Dieses Verfahren solle „vertraglich verankert“ werden, also verpflichtend sein, unabhängig davon, ob ein Land solche „Krisenteams“ aufnehmen wolle oder nicht.

Kommission unter Leitung von Lothar Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts? Das Robert-Koch-Institut (RKI) ist nichts anderes als das deutsche Gesundheitsamt. Die Leitung einer solchen Kommission durch Wieler ist so, als würde Rochelle Walensky eine Expertenkommission der WHO leiten, während sie noch die CDC leitet, oder als würde Anthony Fauci eine Expertenkommission der WHO leiten, während er noch das NIAID leitet.

Wieler, der inzwischen als Direktor des RKI zurückgetreten ist, war Vorsitzender des „WHO Review Committee on the Functioning of the International Health Regulations during COVID 19“, das zweifellos eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung der vorgeschlagenen Revisionen der IHR gespielt hat. Dies ist möglicherweise der Ausschuss, auf den sich der DPA-Bericht bezieht.

Wieler ist auch ein langjähriger Verfechter des sogenannten „One Health“-Ansatzes, der sich auf „zoonotische“ oder tierische Ursachen menschlicher Erkrankungen konzentriert, die den Kern des vorgeschlagenen Pandemievertrags bilden. (Siehe den „Null-Entwurf“ hier und das von Wieler herausgegebene Buch hier) Wieler ist übrigens Tierarzt.

Als weiteren Beleg für das Engagement Deutschlands in der „Pandemievorsorge“ nennt der DPA-Bericht einen Zuschuss der Bundesregierung in Höhe von 30 Millionen Euro an die WHO für die Einrichtung eines „Pandemie-Frühwarnzentrums“ in Berlin. Aus den 30 Millionen Euro wurden 100 Millionen US-Dollar und aus dem „Frühwarnsystem“ wurde das Zentrum für Pandemie- und Epidemieinformationen, das dann auch in Berlin eröffnet wurde – nur drei Monate später! – am 1. September 2021 von Bundeskanzlerin Merkel und WHO-Generaldirektor Tedros eröffnet wurde.

Obwohl der Hub gemeinhin als WHO-Zentrum bezeichnet wird, wird er tatsächlich als vollwertige Partnerschaft zwischen der WHO und niemand geringerem als dem deutschen RKI betrieben. Am selben 1. September 2021 feierten Wieler und Tedros die Gründung der Partnerschaft mit einem feierlichen Ellbogenstoß, wie das folgende Bild aus dem Tweet des RKI hier zeigt.

Robert Kogon ist ein Pseudonym für einen vielveröffentlichten Finanzjournalisten, Übersetzer und Forscher, der in Europa arbeitet. Folgen Sie ihm auf seinem Twitter hier. Robert Kogon schreibt auch unter edv1694.substack.com.