Jeremy Scahill
Benjamin Netanjahu hat deutlich gemacht: Die Entscheidung, eine minimale Menge an Hilfsgütern in den Gazastreifen zu lassen, ist eine taktische Maßnahme. Ziel ist es, internationale Kritik an der erzwungenen Aushungerung des Gazastreifens zu beschwichtigen und gleichzeitig eine endgültige Lösung durchzusetzen, die den Palästinensern aufgezwungen wird.
„Wir werden die Kontrolle über den gesamten Gazastreifen übernehmen“, erklärte Netanjahu in einem Video, das sein Büro am Montag veröffentlichte. Er kündigte darin die Lieferung „minimaler humanitärer Hilfe: nur Lebensmittel und Medikamente“ an. Netanjahu betonte, dass internationaler Druck – selbst von pro-israelischen US-Senatoren und dem Weißen Haus – die Notwendigkeit vorgetäuschter humanitärer Maßnahmen erzwinge. „Unsere besten Freunde – Senatoren, die uns stark unterstützen – haben uns gewarnt, dass sie uns nicht helfen können, wenn Bilder von Massenverhungerung auftauchen“, so Netanjahu. Um den Krieg fortzusetzen, müsse man „so handeln, dass sie uns nicht stoppen können“.
Sein rechtsextremer Koalitionspartner Bezalel Smotrich begrüßte die Maßnahme und erklärte, das Hilfsprogramm verschaffe Israel einen „internationalen Schutzschirm“ gegen den UN-Sicherheitsrat und den Internationalen Strafgerichtshof. Damit könne Israel „bis zum Sieg weiterkämpfen“.
Smotrich betonte bei einer „Notfall“-Pressekonferenz, dass die erlaubte Hilfe lediglich eine symbolische Geste sei: „Eine Handvoll Bäckereien verteilt Fladenbrot. Das war’s.“ Zwar forderte er, man solle Gaza nicht einmal Wasser gewähren, doch dies würde internationalen Druck erzeugen und den Krieg gefährden: „Wir demontieren den Gazastreifen, hinterlassen Trümmer ohne Beispiel – und die Welt kann uns nicht aufhalten.“
Smotrich kündigte zudem an, dass Israel plane, Palästinenser zuerst in den Süden des Gazastreifens und dann – nach Trumps Plänen – in Drittländer zu vertreiben. Dies sei ein „Wendepunkt der Geschichte“.
Trump hatte kürzlich seine Bereitschaft bekräftigt, Gaza in eine „Freiheitszone“ zu verwandeln. Er deutete an, die USA könnten den Gazastreifen übernehmen. Netanjahu erklärte, die begrenzte humanitäre Hilfe solle vor allem die Fortsetzung der Kämpfe gegen die Hamas ermöglichen. Israel wolle die UNO und andere Organisationen umgehen und selbst kontrollierte Verteilungszonen schaffen.
Ein Waffenstillstand rückt dadurch in weite Ferne. Netanjahu besteht auf vollständiger Vernichtung der Hamas und Entmilitarisierung Gazas. Die Hamas hingegen verlangt eine Garantie für vollständigen israelischen Rückzug und einen internationalen Waffenstillstand.
In der Zwischenzeit bombardiert Israel Krankenhäuser, Flüchtlingslager und die Stadt Khan Younis. Über 500 Palästinenser starben in wenigen Tagen. Israel ordnete großflächige Evakuierungen an – auch in Regionen, die zuvor als „sicher“ galten und später doch angegriffen wurden.
Trumps Golfstaaten-Deals haben die Dynamik verschärft. Zwar forderten diese Staaten öffentlich keinen Waffenstillstand, drängten Trump aber hinter den Kulissen, Hilfslieferungen zuzulassen. Trump versprach in Interviews, sich um die humanitäre Krise zu kümmern. Israelische Beamte bestätigen, dass Trump Netanjahu zur Lockerung der Blockade gedrängt habe.
Die Hamas hatte vergangene Woche den US-Israeli Edan Alexander freigelassen. Laut Hamas war dies an Zusagen Trumps gebunden: Öffnung der Blockade und ein öffentlicher Aufruf zu einem dauerhaften Waffenstillstand. Die Hamas wirft der Trump-Regierung vor, dieses Abkommen nicht eingehalten zu haben.
Israel und die USA verfolgen unterdessen einen alternativen Plan: Hilfslieferungen sollen über eine „unabhängige“ Stiftung laufen, die von einem Ex-Marine geleitet wird. Dabei sollen Palästinenser biometrisch erfasst und kontrolliert werden, bevor sie Rationen erhalten – in Zonen, die vollständig von der israelischen Armee kontrolliert werden.
UN-Organisationen und über 200 NGOs kritisieren das Vorhaben als inhuman und gefährlich. Der Plan sei Teil einer militärischen Strategie zur Zwangsvertreibung und widerspreche allen humanitären Grundsätzen. Zivilisten würden gezwungen, sich in militärische Zonen zu begeben – unter Lebensgefahr.
Das UN-Koordinierungsteam erklärte am 5. Mai: „Dieser Plan zerstört jahrzehntelange internationale Strukturen und verschärft die Kontrolle über humanitäre Hilfe als Kriegswaffe.“