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Bleib zu Hause – fürs Klima?

Warum die neue Telemedizin-Studie kaum belastbare Aussagen liefert

Eine aktuelle Studie des American Journal of Managed Care behauptet, dass die Nutzung von Telemedizin erhebliche Mengen an CO₂-Emissionen einsparen könnte. Auf den ersten Blick klingt das wie ein smarter Schachzug: Einfach den Arztbesuch per Bildschirm erledigen – und schon retten wir die Umwelt.
Doch eine genauere Analyse zeigt: Diese Studie taugt wenig und scheint vorwiegend eines zu bezwecken – das Prinzip „Bleib zu Hause“ auch noch ökologisch zu adeln.

Wackelige Basis, große Schlagzeile

Die Forscher extrapolieren aus einer Teilmenge von Daten (19 % der Versicherten) auf die gesamte US-Bevölkerung. Sie arbeiten dabei mit extrem breiten Schätzungen: Zwischen 50 % und 91 % der Telemedizinbesuche sollen angeblich persönliche Fahrten ersetzt haben. Diese Spanne ist nicht nur wissenschaftlich fragwürdig – sie zeigt auch, wie spekulativ die gesamte Hochrechnung ist.

Selbst banale Aspekte wie Mitfahrgelegenheiten, kombinierte Besorgungen oder alternative Mobilitätsformen bleiben unberücksichtigt. Hauptsache, am Ende stehen große Einsparzahlen, die sich gut vermarkten lassen.

Der digitale CO₂-Verbrauch? Kein Thema.

Noch problematischer: Die Emissionen, die Telemedizin selbst verursacht – etwa durch Serverfarmen, Endgeräte und Datenströme –, bleiben vollständig außen vor. Wer permanent Videokonferenzen nutzt, belastet damit sehr wohl das Klima. Eine echte Netto-Ökobilanz fehlt. Der schöne Eindruck der „klimaneutralen Arztvisite“ basiert also auf halben Wahrheiten.

Gesundheitsfolgen und neue Belastungen ausgeblendet

Kritisch ist auch, dass die Studie nur den kurzfristigen Verkehrsausfall misst, aber nicht die langfristigen Konsequenzen bedenkt:

  • Führt Fernbehandlung zu mehr Fehl- oder Unterdiagnosen?
  • Werden Patienten doppelt oder dreifach vorstellig, weil der erste Teletermin unzureichend war?
  • Wird der Energieaufwand durch Nachuntersuchungen oder zusätzliche Eingriffe nicht vielleicht am Ende höher?

Dazu schweigt die Studie beharrlich.
Denn das könnte den schönen Klimaeffekt schnell ins Gegenteil verkehren.

Politisches Wunschdenken statt wissenschaftlicher Analyse

Trotz all dieser Defizite empfehlen die Autoren, die positiven Umwelteffekte der Telemedizin stärker politisch zu nutzen.
Das zeigt, worum es eigentlich geht: nicht um eine nüchterne Bestandsaufnahme, sondern um einen weiteren Baustein für eine Ideologie der stationären Gesellschaft – in der Mobilität, Begegnung und individuelle Entscheidungsfreiheit zunehmend als „klimaschädlich“ diffamiert werden.

Die Botschaft lautet unausgesprochen: Bleibt daheim, lasst euch digital verwalten – fürs Klima.

Ob das unsere Gesellschaft tatsächlich gesünder oder freier macht, wird gar nicht mehr gefragt.