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Covid zerreißt die Tschechische Republik
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Covid zerreißt die Tschechische Republik

spectator.co.uk: Die Covid-19-Situation in der Tschechischen Republik verschlechtert sich zusehends. Die neuen Bemühungen, die Ausbreitung des Virus zu stoppen, endeten in erbitterten Auseinandersetzungen und einem Klima des Zynismus und Angst. In einer Pressekonferenz der Regierung am späten Freitagabend wurden härtere Maßnahmen angekündigt, um die alarmierende Ausbreitung der „britischen Variante“ des Coronavirus im Land zu bekämpfen. Zu diesen Restriktionen gehört die Schließung weiterer Geschäfte und Dienstleistungen, die Schließung von Grundschulen und Kindergärten, die Wiedereinführung der Pflicht zum Tragen von Gesichtsmasken im Freien und ein Verbot, die eigene Gemeinden zu verlassen.

Die Fallzahlen und Todesfälle haben in den letzten Wochen einen neuen Höchststand erreicht, so dass die tschechischen Krankenhäuser am Rande des Zusammenbruchs stehen. Es liegen mehr Menschen mit Covid auf den Intensivstationen als jemals zuvor seit Beginn der Krise. Die Betten auf den Intensivstation in Prag sind zu 94 Prozent ausgelastet, wobei die Zahl der Fälle weiterhin steigt. Die Tschechische Republik ist relativ zur Bevölkerung derzeit das am schlimmsten betroffene Land der Welt und gehört in Bezug auf die Zahl der Todesfälle zu den am schlimmsten betroffenen Ländern. Die tschechische Regierung bat nun andere EU-Länder um Hilfe bei der Versorgung der Covid-Patienten.

Zu dieser katastrophalen Situation kommt eine generell angespannte politische Atmosphäre und ein gravierender Vertrauensverlust der Bevölkerung in die Regierung. Die allgemeine Verärgerung über die nicht enden wollenden Alltagsbeschränkungen steigt, während sich das Vertrauen in die Politik auf dem niedrigsten Stand befindet, den es je gab, wobei laut einer aktuellen Umfrage nur noch ein Drittel der Tschechen der Regierungskoalition vertraut. Auf der Pressekonferenz am Freitag verlangten die Journalisten Beweise für die neuen Schließungen und kritisierten die Zurückhaltung der Regierungskoalition, auf Vorschläge der Opposition einzugehen.

Die Situation ist mit Blick auf die bevorstehenden Wahlen im Herbst hochpolitisiert. Die Regierung musstemit den Oppositionsparteien in diesem Monat um jede Stimme kämpfen, um den bestehenden Ausnahmezustand verlängern zu können, in dessen Rahmen die Regierung Geschäfte schließen und Dienstleistungen untersagen kann. Nach langem politischen Gerangel stimmten die Oppositionsparteien am Freitag schließlich einem neuen Notstandsgesetz zu, das weitere Einschränkungen erlaubt.

Die Opposition gegen den Ausnahmezustand basiert dabei keineswegs auf dem Wunsch, die Wirtschaft wieder zu öffnen – vielmehr meinen Kritiker der Regierung, dass die neuen Beschränkungen nicht weit genug gehen und für eine Effektivität zu langsam eingeführt wurden. Die Opposition fordert einen komplett neuen gesetzlichen Rahmen für die Covid-Beschränkungen und stimmte aus Protest gegen die Unwirksamkeit der bislang getroffenen Maßnahmen gegen den Ausnahmezustand.

Die Weigerung der Regierung, den Industriesektor, der etwa ein Drittel der tschechischen Wirtschaft ausmacht, komplett stillzulegen, wird als rücksichtslos bezeichnet. In dieser Frage zeichnen sich Spaltungen innerhalb der Regierungskoalition ab, wobei der Vorsitzende des kleinen Koalitionspartners CSSD nun auf das teilweise Dichtmachen der Industrie drängt.

Premierminister Andrej Babis trägt in der Sache nicht gerade dazu bei, die Wogen zu glätten, zumal er selbst in den besten Zeiten als umstrittene Figur gilt. Babis ist zu einem großen Teil für die Polarisierung der tschechischen Politik in den letzten vier Jahren verantwortlich, wobei Studien nahelegen, dass nur 7 Prozent der Tschechen Babis in seiner Handhabung der Coronakrise vertrauen.

Als er am Freitag gefragt wurde, warum sich die Regierung weigert, auf Vorschläge der Opposition einzugehen, antwortete Babis salopp, dass er das durchaus machen würde, wenn die Opposition nur einmal mit einem vernünftigen Vorschlag vorbringen würde. Der bedeutendste Moment der Pressekonferenz am Freitag kam jedoch ganz am Ende, als der frustrierte Gesundheitsminister Jan Blatny die Medien um eine freundlichere Haltung gegenüber den Bemühungen der Regierung bat, nachdem einige Journalisten Fragen aufwarfen, die zu kreativen Interpretationen der getroffenen Maßnahmenn einzuladen schienen.

Die gegen Babis gerichteten Medien haben das Vertrauen in die Regierung völlig verloren und schieben ihm und seinen Ministern offen die Schuld für die bislang über 20.000 Toten im Land in die Schuhe. Den neuen Restriktionen begegneten sie mit Hohn und Spott, zumal die Regierung bis vor wenigen Tagen noch behauptete, einige Geschäfte und Schulen würden bald wieder öffnen.

Das politmediale Chaos scheint sich negativ auf die Befolgung der Vorschriften auszuwirken. Während der ersten Welle befolgten die Tschechen die Regeln mit bemerkenswertem Eifer – sogar mit Inbrunst – jetzt aber werden die Beschränkungen eher als unlogisch und sinnlos erachtet. Ein Kommentator beschrieb die Tschechen als „schlau, manchmal zu schlau, und dazu neigend, sich über alles lustig zu machen“. Andere machen keinen Hehl daraus, dass sie entschlossen zum Bruch von Regeln sind, die sie für „sinnlos“ und „Unsinn“ halten.

Die Tschechen werden zunehmend skeptisch gegenüber den Verboten der Regierung – während viele paradoxerweise sauch skeptisch gegenüber Impfstoffen sind. In einem Fernsehinterview stellte Präsident Milos Zeman kürzlich offen die Wirksamkeit des Impfstoffs von AstraZeneca in Frage und behauptete, dass die Impfstoffe von Sputnik V und Pfizer „sicher“ seien, während die in Oxford entwickelte Impfung „viel schlimmer“ sei. Zusammen mit der schmerzhaft langsamen Einführung von Impfstoffen im Land bedeuten Haltungen wie diese, dass die Impfstoffe in Tschechien nicht den selben Ausweg aus der Krise versprechen, als etwa in den USA. Viele im Land scheinen derzeit kein Licht am Ende des Tunnels zu sehen.

Mit der Ankündigung neuer Abriegelungsmaßnahmen erreichte die derzeitige Stimmung aus Angst und Zynismus in der Tschechischen Republik einen neuen Höhepunkte. Die Entschlossenheit und Einigkeit, mit der das Land auf das Aufkommen des Virus vor einem Jahr reagierte, sind nur noch eine ferne Erinnerung. Die Wut über die Beschränkungen, die Skepsis gegenüber Impfstoffen und der katastrophale Vertrauensverlust in die Politik verheißen nichts gutes für das Land in den kommenden Wochen.