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Die einseitigen US-Sanktionen gegen Russland werden zu einer weltweiten Nahrungsmittelkatastrophe führen

Da die USA und die G7 (bestehend aus Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten) darauf beharren, dass der Stopp der Lebensmittelexporte aus der Ukraine die größte Bedrohung für die weltweite Ernährungssicherheit darstellt, anstatt die weitaus stärkeren negativen Auswirkungen der westlichen Sanktionen gegen Russland zuzugeben, fügt ihre Propaganda dem Verständnis der Welt und der Fähigkeit, eine drohende globale Nahrungsmittelkatastrophe zu verhindern, immensen Schaden zu.

Die G7 und die drohende Nahrungsmittelkatastrophe

Angesichts der weltweiten Ernährungslage sehen viele Experten die unmittelbare Gefahr einer „menschlichen Katastrophe“, wie es Weltbankpräsident David Malpass ausdrückte. Andrew Bailey, der Gouverneur der Bank of England, bezeichnete seinen Ausblick auf die weltweiten Probleme der Nahrungsmittelversorgung als „apokalyptisch“, als er über die steigenden Lebensmittelpreise sprach. Dieser Anstieg hat dazu geführt, dass sich zwei Probleme gleichzeitig entfalten: die Gefahr von Hunger und Hungersnöten in Teilen des globalen Südens und die Beeinträchtigung des Lebensstandards in allen Ländern der Welt.

Schon vor dem rapiden Preisanstieg im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg litten mehr als 800 Millionen Menschen unter chronischer Ernährungsunsicherheit – etwa 10 Prozent der Weltbevölkerung. US-Finanzministerin Janet Yellen führte diese Tatsache an, als sie im April 2022 zu den Teilnehmern einer Veranstaltung mit dem Titel Tackling Food Insecurity: The Challenge and Call to Action“ (Die Herausforderung und der Aufruf zum Handeln), an der unter anderem die Leiter internationaler Finanzinstitutionen wie Malpass von der Weltbank teilnahmen. Yellen merkte außerdem an: „Frühe Schätzungen deuten darauf hin, dass in Afrika südlich der Sahara mindestens 10 Millionen Menschen mehr in die Armut gedrängt werden könnten, allein aufgrund der höheren Lebensmittelpreise.“ Das Welternährungsprogramm (WFP) plant, „in diesem Jahr eine Rekordzahl von 140 Millionen Menschen zu ernähren“, und es berichtet, dass „mindestens 44 Millionen Menschen in 38 Ländern am Rande einer Hungersnot stehen“, ein Anstieg gegenüber 27 Millionen im Jahr 2019.

In Ländern, die mit anderen Problemen wie dem Klimawandel konfrontiert sind, ist der Anstieg der Lebensmittelpreise katastrophal. Im Libanon beispielsweise stiegen die Kosten für einen Grundnahrungsmittelkorb – den Mindestnahrungsmittelbedarf einer Familie pro Monat – im Jahr 2021 im Vergleich zu 2020 um 351 Prozent“, so das WFP.

Im Globalen Norden droht keine Hungersnot, aber die Bevölkerung dieser Länder sieht sich mit einem starken Druck auf ihren Lebensstandard konfrontiert, da die globale Nahrungsmittelkrise auch die Preise erhöht, die die Menschen in den wohlhabenden Ländern zahlen und einplanen müssen. In den Vereinigten Staaten beispielsweise führte die Kombination aus hoher Inflation und Konjunkturabschwächung im letzten Jahr zu einem Rückgang des realen durchschnittlichen Wochenverdienstes um 3,4 Prozent, wie aus den Daten des U.S. Bureau of Labor Statistics hervorgeht.

Falsche Analyse der G7 über die Gründe für die Nahrungsmittelkrise

Angesichts der sich rasch verschärfenden Nahrungsmittelkrise trafen sich die Außenminister der G7-Staaten vom 12. bis 14. Mai, um sich endlich mit dieser dringenden Angelegenheit zu befassen. Sie gaben am 13. Mai eine Erklärung ab, in der sie ihre „tiefe Besorgnis“ über die wachsende Ernährungsunsicherheit zum Ausdruck brachten, und wiesen am nächsten Tag darauf hin, dass „die Welt jetzt mit einer sich verschlimmernden Ernährungsunsicherheit und Unterernährung konfrontiert ist… zu einer Zeit, in der 43 Millionen Menschen bereits einen Schritt von einer Hungersnot entfernt waren“.

Die G7 behaupteten jedoch fälschlicherweise, dass der Grund für diese Nahrungsmittelkrise in erster Linie darin liege, dass „Russland die Abfuhrwege für das ukrainische Getreide blockiert“. Kanadas Außenministerin Mélanie Joly erklärte: „Wir müssen dafür sorgen, dass dieses Getreide in die Welt geschickt wird. Andernfalls droht Millionen von Menschen eine Hungersnot.“

Sanktionen und die weltweite Nahrungsmittelkrise

In dieser G7-Erklärung wurde die derzeitige weltweite Nahrungsmittelkrise bewusst falsch dargestellt. Anstatt zu versuchen, diese Krise zu lösen, nutzten die USA und der Rest der G7 diese Gelegenheit, um ihre Propaganda für den Ukraine-Krieg voranzutreiben.

Sicherlich verschlimmern die Exportbeschränkungen der Ukraine das weltweite Nahrungsmittelproblem. Aber sie sind nicht die Hauptursache für die Verschlechterung der Lage. Eine viel stärkere Ursache sind die westlichen Sanktionen gegen die russischen Exporte.

Der erste Grund dafür ist, dass Russland im Vergleich zur Ukraine ein weitaus größerer Exporteur von Grundnahrungsmitteln und anderen Produkten ist. Russland ist der größte Weizenexporteur der Welt und hat einen fast dreimal so hohen Anteil an den weltweiten Ausfuhren wie die Ukraine, nämlich 18 Prozent im Vergleich zu 7 Prozent.

Zweitens, und noch wichtiger, ist die Situation bei den Düngemitteln. Russland ist der weltweit größte Exporteur von Düngemitteln, und Weißrussland, das ebenfalls von westlichen Sanktionen betroffen ist, ist ebenfalls ein wichtiger Lieferant – zusammen machen sie mehr als 20 Prozent des weltweiten Angebots aus. Die Preise für Düngemittel stiegen bereits vor dem Ukraine-Krieg aufgrund der hohen Brennstoffpreise – die Düngemittelproduktion ist in hohem Maße von Erdgas abhängig -, aber die Sanktionen des Westens, die Russland am Export von Düngemitteln hindern, haben die Situation noch verschärft.

David Laborde, Senior Research Fellow am International Food Policy Research Institute, wies darauf hin, dass „die größte Bedrohung für das Lebensmittelsystem die Störung des Düngemittelhandels ist“. Der Grund dafür ist, so Laborde: „Weizen wird einige wenige Länder betreffen. Das Düngemittelproblem kann sich auf jeden Landwirt überall auf der Welt auswirken und zu Produktionsrückgängen bei allen Nahrungsmitteln führen, nicht nur bei Weizen.“

Die Bedrohung der weltweiten Düngemittelversorgung verdeutlicht, wie wichtig Energieprodukte für praktisch alle Wirtschaftszweige sind. Da Russland nicht nur einer der weltweit größten Exporteure von Nahrungsmitteln, sondern auch von Energie ist, haben die Sanktionen gegen das Land eine inflationäre Wirkung auf die gesamte Weltwirtschaft.

Reaktion im globalen Süden

Die weltweite Versorgungslage mit Nahrungsmitteln verschlechterte sich nach dem G7-Treffen weiter, als Indien, der zweitgrößte Weizenproduzent der Welt, am 14. Mai ankündigte, seine Weizenexporte aufgrund von Ernteverlusten infolge einer starken Hitzewelle einzustellen. Bereits im April hatte Indonesien angekündigt, die Ausfuhr von Palmöl einzustellen – auf Indonesien entfallen 60 Prozent des weltweiten Angebots.

Indiens Weizenexportstopp wird ein weiterer schwerer Schlag für die Länder des globalen Südens sein, auf die sich die Exporte hauptsächlich konzentrieren. Im Zeitraum 2021-2022 exportierte Indien 7 Millionen Tonnen Weizen, vor allem in Länder des globalen Südens wie Sri Lanka, Indonesien, Jemen, Nepal, Malaysia, die Philippinen und Bangladesch. Indien hatte sich jedoch bereits früher das Ziel gesetzt, die Weizenexporte in den Jahren 2022-2023 auf 10 Millionen Tonnen zu steigern, einschließlich der erstmaligen Lieferung von 3 Millionen Tonnen Weizen nach Ägypten.

Beendigung der Sanktionen zur Verhinderung einer Verschärfung der Nahrungsmittelkrise

Die sich abzeichnende Situation macht deutlich, dass António Guterres‘ Worte in der Tat zutreffend waren – die Welternährungskrise kann nicht ohne die Exporte der Ukraine und Russlands an Nahrungsmitteln und Düngemitteln gelöst werden. Ohne letztere steht die Menschheit tatsächlich vor einer „Katastrophe“ – Milliarden von Menschen werden ihren Lebensstandard senken müssen, und Hunderte Millionen Menschen im Globalen Süden werden große Not wie Hunger oder Schlimmeres erleiden. Fast alle Länder des Globalen Südens haben sich zu Recht geweigert, die einseitigen US-Sanktionen gegen Russland zu unterstützen. Diese Weigerung muss auf die ganze Welt ausgedehnt werden, um weitere Verheerungen zu verhindern.

John Ross ist Senior Fellow am Chongyang Institute for Financial Studies der Renmin University of China. Er ist außerdem Mitglied des Organisationskomitees der internationalen No Cold War-Kampagne. Seine Artikel über die chinesische und amerikanische Wirtschaft und Geopolitik wurden in zahlreichen Online-Medien veröffentlicht, und er ist Autor von zwei in China erschienenen Büchern, Don’t Misunderstand China’s Economy und The Great Chess Game. Sein jüngstes Buch ist China’s Great Road: Lessons for Marxist Theory and Socialist Practices (1804 Books, 2021). Zuvor war er Direktor für Wirtschaftspolitik beim Bürgermeister von London.