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Entmenschlichung und Zerstörung: Wie westliche Medien dazu beitrugen, Journalisten im Gazastreifen zu töten

Von Robert Inlakesh

„Der Moderator hat mich getötet“

Am 29. September 2024 traf ein israelischer Luftangriff das Haus der vertriebenen palästinensischen Journalistin Wafa al-Udaini in Deir al-Balah, Zentral-Gaza. Sie, ihr Mann und ihre beiden kleinen Töchter wurden getötet; ihre beiden Söhne überlebten verletzt und als Waisen.

Udaini war schon lange ins Visier geraten. Zu Beginn des Gaza-Krieges trat sie in einer TalkTV-Sendung der britischen Moderatorin Julia Hartley-Brewer auf, direkt nach einem Interview mit dem israelischen Armeesprecher Peter Lerner. Als Udaini die israelischen Angriffe auf Palästinenser als „Massaker“ bezeichnete – denselben Begriff, den Lerner zuvor für Hamas-Angriffe benutzt hatte – wurde sie verspottet und unterbrochen. Der Clip ging viral, israelische Medien nutzten ihn, um Udaini zu diffamieren. Bald darauf erhielt sie direkte Drohungen vom israelischen Militär. In privaten Gesprächen sagte sie, sie sei eine „gezeichnete Frau“. Auf die Frage von The Cradle, ob sie aus ihrem Haus in Al-Rimal, Gaza-Stadt, ausgezogen sei, antwortete sie: „Das kann ich nicht sagen, tut mir leid.“ Und fügte hinzu:

„Der Moderator hat mich getötet … Sie benutzen das Interview, um meinen Tod zu rechtfertigen.“

Monate später wurde sie von Israel getötet.

Die Ermordung von Anas al-Sharif

Der Mord an Wafa war Teil einer größeren, systematischen Kampagne. Ein weiteres prominentes Opfer war Anas al-Sharif, einer der bekanntesten Reporter in Gaza für Al Jazeera, der zusammen mit seinem gesamten Team gezielt getötet wurde. Seit Oktober 2023 sind fast 270 palästinensische Journalisten getötet worden. Westliche Medien halfen bei der Vertuschung und vermieden, Israel zur Rechenschaft zu ziehen.

Im Oktober 2024 veröffentlichte das israelische Militär eine „Trefferliste“ mit sechs palästinensischen Al-Jazeera-Journalisten, die angeblich Hamas oder PIJ angehörten. Sharif stand auf dieser Liste. Die veröffentlichten „Beweise“ waren widersprüchlich und konstruiert: In einer Version hieß es, er sei Kommandeur einer Eliteeinheit der Qassam-Brigaden; in einer anderen, er sei 2023 verletzt worden und kampfunfähig. Beide Behauptungen können nicht gleichzeitig wahr sein – und nachweislich ist keine zutreffend.

Nach Sharifs Ermordung behauptete Israel, er habe Raketen abgefeuert. Ein hochrangiger Hamas-Vertreter wies dies gegenüber The Cradle als „lächerlich“ zurück. Bereits am 22. November 2023 hatte Sharif öffentlich gemacht, dass israelische Offiziere ihn über WhatsApp bedroht und lokalisiert hätten. Wochen später wurde sein 90-jähriger Vater bei einem Luftangriff auf das Haus der Familie getötet.

Trotz der offensichtlichen Ungereimtheiten überprüfte kein großes Medienhaus die Vorwürfe. UN-Sonderberichterstatterin Irene Khan und das Komitee zum Schutz von Journalisten wiesen die israelischen Behauptungen zurück. Dennoch wurde die Verleumdungskampagne fortgesetzt.

Verstärkung durch westliche Medien

Obwohl die westliche Presse Zugang zu allen Informationen und Israels Vorgeschichte von Falschbehauptungen hatte, verstärkte sie Tel Avivs Narrative. Während Israel Rechtfertigungen für Sharifs Tod lieferte, gab es keine für den Angriff auf das gut sichtbare Al-Jazeera-Zelt mit Korrespondent Mohammed Qreiqeh, Assistent Mohammed Noufal und Kameraleuten Ibrahim Zaher und Moamen Aliwa.

Reuters titelte zunächst: „Israel tötet Al-Jazeera-Journalist, der angeblich Hamas-Führer war“ – änderte später nach Kritik zu „Israel tötet Al-Jazeera-Journalisten in Gaza“. Die Bild brachte: „Terrorist als Journalist getarnt in Gaza getötet“, später „Getöteter Journalist war angeblich ein Terrorist“. Fox News und die kanadische National Post wiederholten ebenfalls Israels Darstellung.

Auch die BBC schrieb ohne Beleg, man gehe davon aus, Sharif habe vor dem Krieg „für ein Medienteam der Hamas“ gearbeitet – im Widerspruch zu seiner dokumentierten Kritik an der Hamas und deren Dementi jeglicher Verbindung.

Dokumentierte Zielerfassung – und Zensur in Redaktionen

Israels Angriffe auf Journalisten sind ausführlich dokumentiert. Im August 2024 veröffentlichte Human Rights Watch mit über 60 Organisationen einen offenen Brief an die EU, der Maßnahmen gegen Israels „beispiellose Tötung von Journalisten“ forderte.

In Redaktionen wächst der Unmut: Marina Watanabe wurde bei der LA Times drei Monate von der Palästina-Berichterstattung ausgeschlossen, weil sie eine Petition gegen die Tötung von Journalisten unterschrieben hatte. Über 100 BBC-Mitarbeiter und 306 Medienschaffende warfen der BBC „antipalästinensischen Rassismus“ vor.

Ein BBC-internes Schreiben kritisierte, Entscheidungen würden einer „politischen Agenda“ folgen und ein „Israel zuerst“-Narrativ bedienen.

Straflosigkeit durch Präzedenzfälle

Das UN-Menschenrechtsbüro warnt seit dem 14. Dezember 2023 vor der gezielten Ermordung von Journalisten in Gaza. Dennoch behandeln westliche Medien Israels wiederholte Lügen, als seien sie glaubwürdig.

Beispiel Reuters: Am 13. Oktober 2023 tötete Israel im Südlibanon den Reuters-Videojournalisten Issam Abdallah. Reuters nannte den Angreifer zunächst nicht, bestätigte erst am 7. Dezember Israels Verantwortung – zu spät für Konsequenzen.

Am 11. Mai 2021 erschoss ein israelischer Scharfschütze die palästinensisch-amerikanische Journalistin Shireen Abu Akleh in Jenin. Trotz erdrückender Beweise blieb der Mord ohne Folgen – ein Signal, das den Weg für die heutige Jagd auf Gaza-Journalisten ebnete.

Fazit: Dieses Schweigen – oder die aktive Komplizenschaft – westlicher Medien hat Konsequenzen. Statt kritisch zu hinterfragen, dient ihre Berichterstattung oft der Legitimation von Kriegsverbrechen. Jedes Wiederholen unbelegter israelischer Narrative trägt zur Normalisierung und Rechtfertigung der Tötung palästinensischer Journalisten bei – nicht aus Unwissenheit, sondern aus bewusster Entscheidung.