Kognitive Kriegsführung: das neue Schlachtfeld, das unser Gehirn ausnutzt
Bernard Claverie, Emeritierter Professor für Kognitionswissenschaften am Bordeaux Institute of Technology
Wichtigste Erkenntnisse:
- Kognitive Kriegsführung untersucht die potenzielle Manipulation durch feindliche Akteure unter Verwendung der Kognitionswissenschaft, wie Propaganda und Desinformation.
- Sie umfasst Operationen, die darauf abzielen, die Denkprozesse des Gegners zu korrumpieren und seine Entscheidungsfähigkeit mithilfe eines wissenschaftlichen Ansatzes zu verändern.
- Sie beeinflusst die kognitiven Fähigkeiten von Individuen durch den Einsatz von Technologien, die Aufmerksamkeit und Reaktionen kurzfristig und die kognitive Struktur langfristig beeinflussen können.
- Um dem zu begegnen, müssen wir Menschen in strategischen Situationen physisch schützen und die sinnvolle Nutzung digitaler Technologie fördern, trotz der Herausforderungen.
- Das Gecko-Projekt zielt darauf ab, Systeme zur Erforschung der kognitiven Kriegsführung im Kontext fiktiver Krisen zu entwickeln, um diejenigen vorzubereiten, die an nationalen Sicherheitsoperationen beteiligt sind.
„Kognitive Kriegsführung“, ein Ausdruck, der 2017 in den öffentlichen Reden amerikanischer Generäle auftauchte und schnell von Wissenschaftlern und Politikwissenschaftlern aufgegriffen wurde, ist ebenso beunruhigend wie faszinierend. Was bedeutet er genau? Wir werfen einen Blick auf dieses neue Konzept mit Bernard Claverie, Professor für Kognitionswissenschaft am Bordeaux Polytechnic Institute und Gründer der École nationale supérieure de cognitique.
Das Konzept der kognitiven Kriegsführung ist in der Verteidigungswelt derzeit sehr beliebt. Wie ist es entstanden?
Bernard Claverie: Das Konzept ist sowohl ziviler als auch militärischer Natur und wird auch als „kognitive Dominanz“ oder „kognitive Überlegenheit“ bezeichnet. Es trat vor etwa fünfzehn Jahren in den USA in den Vordergrund. Anfangs prangerte man das Manipulationspotenzial an, das die erheblichen Fortschritte in der Kognitionswissenschaft eröffneten, und äußerte den Verdacht, dass diese von feindlichen Staaten oder Organisationen eingesetzt werden könnten.
Bis vor Kurzem basierten psychologische Operationen (Psy-Ops), darunter Propaganda und Desinformation sowie offensives Marketing im zivilen Bereich, auf relativ lückenhaften Konzepten kognitiver Prozesse, die noch wenig verstanden waren. Diese Operationen zielten daher darauf ab, das zu kontrollieren, was sie kontrollieren konnten, d. h. die an Feinde, Konkurrenten oder Verbraucher verbreiteten Informationen, in der Hoffnung, deren Entscheidungen und Verhalten zu beeinflussen.
Doch die Entwicklung der sogenannten „harten“ Kognitionswissenschaften – also der nicht-interpretativen, verifizierbaren und quantifizierbaren – hat all dies verändert. Diese Disziplinen untersuchen das Denken als materielles Objekt aus den konvergierenden Perspektiven verschiedener Wissensgebiete: Neurowissenschaften, Linguistik, Psychologie, analytische Philosophie und die Digitalwissenschaften, einschließlich der KI. Ihre Ergebnisse zeigen, dass es möglich ist, die kognitiven Prozesse selbst gezielt zu beeinflussen und so die Denkprozesse des Gegners direkt zu verändern.
Wie können wir kognitive Kriegsführung heute definieren?
Wir stehen vor einer neuen Bedrohung, deren Grenzen und Möglichkeiten wir noch immer zu verstehen versuchen. Müsste man sie definieren, so lässt sich sagen, dass kognitive Kriegsführung zumindest ein Forschungsgebiet – und wahrscheinlich auch ein Beitrag zur Vorbereitung und Durchführung von Kriegen oder feindlichen Aktionen – ist, die von staatlichen oder nichtstaatlichen Akteuren durchgeführt werden. Sie umfasst Operationen, die darauf abzielen, die Denkprozesse, das Situationsbewusstsein und die Entscheidungsfähigkeit des Gegners zu verzerren, zu verhindern oder zu zerstören. Dabei kommen wissenschaftliche Ansätze und technologische, insbesondere digitale, Mittel zum Einsatz.
Können Sie uns einige Beispiele für Maßnahmen nennen, die von diesem Konzept abgedeckt werden könnten?
Kognitive Kriegsführung nutzt Technologie als Waffe. Sie kann invasive Technologien nutzen, um das Denken, das Gehirn und allgemein das Nervensystem, das seiner Funktionsweise zugrunde liegt, zu verändern. Im Herbst 2016 beispielsweise entwickelten etwa vierzig Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums der US-Botschaft in Kuba plötzlich seltsame, handlungsunfähig machende Symptome, die seitdem als „Havanna-Syndrom“ bezeichnet werden. Man vermutete, dass ein gezieltes Manöver einer feindlichen Macht diese Menschen durch gezielte Bestrahlung neurobiologischen Veränderungen ausgesetzt hatte.
Kognitive Kriegsführung kann digitale Technologien vor allem dazu nutzen, bestimmte kognitive Funktionen (Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Kommunikation, Emotionen usw.) gezielt zu stören. Beispiele hierfür sind das Versenden personalisierter Textnachrichten an Abgeordnete, die gerade über ihre Angehörigen abstimmen, oder das Versenden von Fotos toter Kinder an militärische Entscheidungsträger im Rahmen einer Operation. Ziel ist es, kurzfristiges Denken durch die Beeinflussung von Aufmerksamkeit, Entscheidungsfindung und Reaktion zu stören.
Es besteht jedoch der Verdacht, und das ist der beunruhigendste Aspekt: Es besteht der Verdacht, dass diese Operationen über einen langen Zeitraum hinweg unbemerkt stattfinden. Durch kognitive Verzerrungen verändern sie die Denkgewohnheiten der Opfer und haben dauerhafte, ja sogar irreversible Auswirkungen auf die kognitive Persönlichkeit, d. h. die Art und Weise, wie ein Individuum Informationen verarbeitet. So kann beispielsweise ein Pilot darauf konditioniert werden, in einer bestimmten Situation falsch zu reagieren; die Motivation eines mit der Wartung einer Maschine beauftragten Technikers kann durch „digital-soziale“ Einflüsse allmählich untergraben werden; oder Einzelpersonen können über soziale Plattformen innerhalb identitätsbasierter Gruppen radikalisiert werden, um sie, scheinbar aus freiem Willen, von der moralischen Richtigkeit tödlicher Operationen zu überzeugen. Die Aktionen sind weit verbreitet und betreffen sowohl die digitale als auch die reale Welt. Der Nachweis eines vorsätzlichen Angriffs kann dann deutlich schwieriger sein, zumal die Erkennung eines kognitiven Effekts oft zu spät erfolgt und die betroffene Person naturgemäß dazu neigt, den Effekt zu minimieren oder sogar zu verschweigen, dass sie angegriffen wurde.
**Wie Sie bereits erwähnt haben, scheinen digitale Ressourcen in der kognitiven Kriegs