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Peter Thiels Visionen der Apokalypse: Ist KI der Antichrist?

Jacob Howland

Peter Thiel denkt groß – und momentan denkt er über das Ende der Welt nach.

In einer Reihe von vier Vorträgen, die er an der Universität Oxford, in Harvard und an der University of Austin hielt, versucht Thiel, die Menschheitsgeschichte – insbesondere die Moderne – durch die Linse biblischer Endzeitprophezeiungen zu deuten. Für ihn ist der Antichrist – ob als Person, System oder globale Tyrannei – „keine mittelalterliche Fantasie“.

Seine breit angelegten Vorträge springen zwischen Werken wie Gullivers Reisen und Watchmen, Themen wie heiliger Gewalt oder globaler Hochfrequenzhandel. Thiel will daraus eine große theologisch-anthropologisch-historische Erzählung weben, die der gesamten Menschheitsgeschichte Sinn verleiht. Eines seiner zentralen Motive: die Verbindung zwischen Technologie, Imperium und dem Aufstieg des Antichristen.

Viele mögen Thiels Projekt seltsam finden: Wie kann ein so erfolgreicher, mathematisch und philosophisch gebildeter Tech-Milliardär ernsthaft biblische Mythen aus der Offenbarung des Johannes behandeln?

Aber die eigentliche Frage lautet: Wie konnten wir es uns leisten, das nicht zu tun?

Wie Dorian Lynskey in Everything Must Go: The Stories We Tell About the End of the World schreibt, sei die apokalyptische Angst zur kulturellen Konstante geworden. Unsere Gegenwart ist gesättigt mit Endzeiterzählungen – in Literatur, Film, Games. Besonders beliebt: Zombie-Fantasien – mechanische, geistlose Untote, die unaufhaltsam nach menschlichen Gehirnen gieren. Sie spiegeln das tief verwurzelte Gefühl einer drohenden Katastrophe wider, das sich seit den Lockdowns 2020 verstärkt hat.

Thiel warnt: Selbst wenn uns nicht Biowaffen, Klimawandel, Atombomben oder KI auslöschen, könnten die politischen Gegenmaßnahmen – etwa eine Weltregierung – selbst das Ende von Moral, Kultur und Menschlichkeit bedeuten. Die Wahl zwischen keiner Welt und einer Welt – also Anarchie oder Totalitarismus – beschreibt er als apokalyptisches Dilemma.

Im Gegensatz zu heutigen Katastrophenszenarien bieten die biblischen Texte für Thiel einen Schlüssel zum Verstehen unserer Zeit. Matthäus 24:24 warnt vor falschen Christussen und Propheten, die sogar die „Auserwählten“ verführen – der Antichrist werde christlicher erscheinen als Christus selbst, während er dessen Werte zerstört. Die Nazis verfolgten diese Strategie – durch antisemitische Ideologie begrenzt. Ein „erfolgreicherer“ Antichrist würde mit universellen Werten wie Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit auftreten – wie die Jakobiner oder Marxisten.

Thiel glaubt, moderne Technologie habe den zyklischen Verlauf der Geschichte in eine biblisch-lineare Dramaturgie verwandelt – mit einem Anfang und einem unumkehrbaren Ende. Die Technik sei das glänzende Versprechen der Gottwerdung, das schon die Schlange im Paradies anbot.

Francis Bacon und René Descartes, die Begründer der modernen Wissenschaft, verstanden ihr Projekt als verdeckt antichristlich – getarnt in religiösem Gewand. Bacons Neu-Atlantis beschreibt eine geheime, christlich verbrämte Forschungsakademie, Descartes versprach, den Menschen zum „Herrn der Natur“ zu machen. Beide Werke gliedern sich symbolisch in sechs Abschnitte – analog zu den sechs Schöpfungstagen. Der siebte, der dem Göttlichen gewidmete Ruhetag, fehlt.

Ein Schiff auf dem Frontispiz von Bacons Great Instauration durchbricht die Säulen des Herakles – ein uraltes Warnsymbol. Die abgebildete Inschrift „Viele werden hin und her gehen, und das Wissen wird sich mehren“ stammt aus Daniel 12 – eine Anspielung darauf, dass Erkenntnis das Ende der Zeit herbeiführen könnte.

Für Thiel ist Technologie das Herz apokalyptischer Ängste. Doch welche Rolle spielt KI in dieser Geschichte? Ist sie der Antichrist? Bereitet sie seinen Weg? Oder wirkt sie wie das Katechon, jene mysteriöse Kraft, die laut 2. Thessalonicher 2:6 das Böse zurückhält?

Thiel ist sich der Doppelnatur bewusst: Was sich dem Antichristen entgegenstellt, kann ihn zugleich fördern. So setzten etwa westliche Staaten nach dem Ende des Kalten Krieges psychologische Kriegsführung und digitale Überwachung – ursprünglich gegen Feinde gerichtet – zunehmend gegen die eigene Bevölkerung ein.

Doch Thiel sieht die Angst vor KI als gefährlicher an als die Technologie selbst – weil sie Eliten Vorschub leistet, die einen globalen Verwaltungsstaat errichten wollen. Dennoch erkennt er in der KI ein satanisches Element – ein geisterhaftes Wesen, das fähig ist, menschliche Gedanken zu hacken. Er sagt über KI-Entwickler, was er einst über Bacon sagte: Sie haben „einen Dämon beschworen, an dessen Existenz sie nicht glauben“.

Wie der Antichrist bietet KI eine täuschend echte Nachahmung des Göttlichen – sie imitiert Denken und Sprache, ohne deren geistige Tiefe. Ihr fehlt das menschliche „Logos“ – das Denken aus Seele, Leib und Sterblichkeit. Sprache ist lebendig – KI jedoch mechanisch, kontingent, wie ein Dämon, der in Servern haust, aber nie wirklich anwesend ist. Ihre Wahrheitskriterien: Wahrscheinlichkeit, Logik – nicht Wirklichkeit.

Deshalb halluziniert KI – zitiert Bücher, die es nur in Borges‘ fiktiver Bibliothek von Babel gibt. Doch wie Platons Sophist beherrscht sie die Kunst, mit göttlicher Plausibilität alles zu simulieren – und erreicht so eine seelenlose Massenverbreitung.

Wir leben in ihren Schatten – wie in Platons Höhle. Doch der Einsatz von KI für ernstere Aufgaben ist ein faustischer Pakt: Je mehr wir ihr überlassen, desto weniger bleiben uns selbst geistige Fähigkeiten. Navigation, Schreiben, Entscheiden – alles wird uns abgenommen, alles verkümmert. KI, eingesetzt zur Befriedigung leerer, atomisierter Selbste, bedeutet ultimative Verdummung und Versklavung.

Sind das nicht die Ziele des Antichristen – den Menschen nach seinem Bild zu formen?

Oder ist KI doch ein Katechon?

Das behaupten Alexander Karp und Nicholas Zamiska in The Technological Republic. Karp – Thiels Stanford-Kommilitone und Mitgründer von Palantir – fordert den engen Schulterschluss von Tech-Eliten und Regierung, um militärisch überlegene KI zu entwickeln. Sie beklagen eine Elitekultur ohne Patriotismus, ohne Glauben – eine „körperlose“, postnationale Moral.

Doch ironischerweise hat genau diese digitale Elite – durch KI, Plattformen, Anonymität – die moralische Aushöhlung des Westens beschleunigt: Entfremdung, Selbstbesessenheit, Cancel Culture.

Die zentrale Erkenntnis dieser paradoxen Analyse ist tatsächlich apokalyptisch. Ob wir den Antichristen beschleunigen oder aufhalten, hängt von unserer Zivilcourage ab – jener Fähigkeit, Wahrheit zu erkennen, gegen den Strom zu denken und Verantwortung zu übernehmen. Doch diese Tugenden werden durch Technik, Medien und Markt täglich ausgehöhlt.

Was bleibt?

Nur die Hoffnung – zuletzt entlassen aus der Büchse der Pandora, die wir selbst gebaut haben. Vielleicht inspiriert sie neue Weisheit. Und vielleicht liegt genau darin unsere letzte Chance.