Im aktuellen Interview mit Judge Andrew Napolitano analysiert der norwegische Professor und Russland-Experte Glenn Diesen die geopolitischen Spannungen rund um den Ukraine-Krieg, die Rolle Europas, die Strategie Donald Trumps im Nahen Osten sowie die wirtschaftliche Entwicklung Russlands trotz westlicher Sanktionen. Dabei geht es auch um moralische Doppelmoral des Westens, politische Symbolik und den Zustand diplomatischer Beziehungen zwischen Moskau, Washington und Europa. Das Gespräch ist geprägt von nüchterner Einschätzung, kritischem Ton und schonungsloser Analyse westlicher Politikmuster.
Andrew Napolitano:
Hallo zusammen, hier ist Judge Andrew Napolitano für Judging Freedom. Heute ist Mittwoch, der 14. Mai 2025. Professor Glenn Diesen ist bei uns. Professor, wie immer eine Freude, mein lieber Freund. Vielen Dank, dass Sie dabei sind.
Ich möchte etwas Zeit mit Ihnen verbringen, um über Europa und dessen reale oder eingebildete Kriegsängste und die Vorbereitung auf einen Krieg zu sprechen. Aber zuerst: Was halten Sie von Präsident Trumps Reise in den Nahen Osten, seinen Besuchen in Katar und Saudi-Arabien?
Prof. Glenn Diesen:
Ich denke, er hofft immer noch, als Friedenspräsident in die Geschichte einzugehen, der die Region zusammenbringt – auch wenn es nicht immer so aussieht, als sei das seine eigentliche Absicht. Angesichts seiner aggressiven Haltung, die ethnische Säuberungen und Bombardierungen – wie im Jemen – einschließt, scheint seine Taktik zu sein: Verhandlungen durch Stärke und strategische Mehrdeutigkeit. Aber ja, das ist wohl seine Hauptstrategie.
Er hat auch interessante Punkte angesprochen – etwa die Kritik an humanitären Interventionen und dem Aufbau fremder Nationen, die in den letzten Jahrzehnten gängige Praxis waren. Er distanziert sich damit vom Universalismus und plädiert für die Anerkennung unterschiedlicher Zivilisationen und Kulturen. De facto hat er das Verhalten von Präsident George W. Bush kritisiert – mit den Kriegen in Afghanistan und im Irak – und damit auch den wilsonianischen Anspruch, anderen Ländern Demokratie zu bringen.
Napolitano:
Spielt für Europäer die persönliche Vergangenheit der Personen, mit denen Trump sich trifft, überhaupt eine Rolle? MBS wurde laut US-Geheimdiensten für den Mord und die Zerstückelung des Journalisten Jamal Khashoggi verantwortlich gemacht. Al-Golani hat laut Scott Ritter mit eigenen Händen Amerikaner getötet – und tötet noch heute Alawiten und Christen. Interessiert das die Europäer?
Diesen:
Sie haben recht – in beiden Punkten. Es gibt heutzutage keine einheitliche europäische Position mehr, die Fragmentierung ist tief. Zugleich herrscht Panik in Europa, und Werte oder Prinzipien werden derzeit nicht priorisiert. Deshalb fällt es den Europäern schwer, Trump zu verurteilen. Sie besuchen ja selbst Golani. Als dieser Alawiten massakrierte, veröffentlichte die EU einen Tweet, der die Alawiten für die Gewalt verantwortlich machte. Frankreich war meines Wissens das erste Land, das Golani als legitimen Regierungschef anerkannte – in einem von uns zerstörten Syrien.
Übrigens: Als das geschah, war das Kopfgeld auf Golani noch gültig – 10 Millionen Dollar vom State Department, also von Trumps eigener Regierung. Und nun sitzt dieser Mann mit dem Präsidenten in einem Palast in Riad.
Napolitano:
Sind die Russen noch in Syrien? Haben sie noch eine Marinebasis dort oder haben sie inzwischen aufgegeben?
Diesen:
Golani fordert, dass Assad ausgeliefert wird. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass Russland dem zustimmt – es wäre eine internationale Demütigung. Russland hat das Projekt Syrien wohl teilweise aufgegeben – genauso wie Iran. Das ist inzwischen mehr ein Problem des Westens. Die Anti-Assad-Allianz hatte viele Mitglieder: Türkei, Israel, die USA, die Jihadisten. Doch was verbindet sie noch nach Assads Sturz? Es herrscht Fragmentierung. Russische Truppen sind zwar noch dort, doch es gibt Berichte über Versorgungsprobleme – trotzdem ziehen sie nur schrittweise ab.
Napolitano:
Sind die Israelis enttäuscht über die Aufhebung der Sanktionen gegen Syrien?
Diesen:
Das ist interessant. Normalerweise folgen USA und EU den israelischen Vorgaben. Doch hier hat man entgegen dem israelischen Willen gehandelt. Ziel ist wohl, die Kontrolle über das zukünftige Syrien zu sichern – auch mit einem neuen, dem Westen loyalen Machthaber. Dass der Westen Regime stürzt und Diktaturen unterstützt, ist keine neue Geschichte – Hauptsache loyal zu Washington und Brüssel.
Napolitano:
Wie steht Europa zu den 400 Millionen Dollar, die Katar angeblich Trump „spendet“ – zunächst ans Verteidigungsministerium, dann an seine „Library Foundation“, die Trump selbst kontrollieren wird?
Diesen:
Das Wort „Spende“ ist irreführend. In der Machtpolitik gibt es keine Geschenke. Katar kauft sich Einfluss. Das ist nichts Neues – denken Sie an die Clinton-Stiftung. Trump ist nur direkter und offener als andere. „America First“ heißt auch: Die Verbündeten sollen für ihre Sicherheit bezahlen. So funktionierte auch der Ukraine-Deal mit den Mineralien. Man kauft sich Wohlwollen – direkt bei Trump.
Napolitano:
Diese Flugausstattung für Trump soll rund 1 Milliarde Dollar kosten und ist in zwei Jahren fertig – vielleicht kann er sie also gar nicht mehr nutzen…
Diesen:
Ja, Ironie der Geschichte.
Napolitano:
Letzte Woche reisten Tusk, Macron, Starmer und Scholz nach Kiew – genau zum Zeitpunkt der russischen Gedenkfeier zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Was wollten sie damit bezwecken?
Diesen:
Sie wollten von den Feierlichkeiten ablenken – und zeigen, dass Europa noch relevant ist. Europa ist besorgt, weil es von den eigentlichen Friedensverhandlungen ausgeschlossen wurde, die primär in Moskau und Washington stattfinden. Aber: Sie rufen zwar nach Verhandlungen, doch niemand ruft Moskau an. Sie wollen Teil des Prozesses sein – aber ohne Kompromiss. Man hängt weiter an der Erzählung der „unprovozierten Invasion“.
Napolitano:
Hier ein Ausschnitt von Premierminister Starmer, der mit seiner „Koalition der Willigen“ droht…
Diesen:
Das ist unehrlich. „Unbedingter Waffenstillstand“ bedeutet in Wahrheit: Keine politischen Gespräche. Ohne Lösung der Ursachen gibt es keine tragfähige Waffenruhe. Sie dämonisieren Russland für das Fordern von Bedingungen – dabei ist das in jedem Friedensprozess normal. Außerdem: Sie weigern sich, mit Russland überhaupt zu sprechen – wie soll so ein Waffenstillstand ausgehandelt werden?
Napolitano:
Warum rufen sie dann nicht einfach Sergej Lawrow an?
Diesen:
Weil sie Russland isolieren wollen – und gleichzeitig verhandeln wollen. Das ist widersprüchlich. Der neue deutsche Außenminister sagte, der NATO-Beitritt der Ukraine sei „unumkehrbar“. Also will man keinen Dialog über Sicherheitsfragen – aber eine Feuerpause. Russland fragt zurecht: Wozu?
Napolitano:
Und dann sagt Selenskyj plötzlich, er wolle Putin treffen – am Donnerstag in Istanbul. Ist das realistisch?
Diesen:
Nein. Solche Treffen brauchen Vorbereitung, Agenda, Sicherheit. Das ist Theater – ein PR-Stunt. Damit kann man sagen: „Selenskyj will Frieden, Putin nicht.“
Napolitano:
Hier ist Putins Reaktion. Er nennt die westlichen Führer „Idioten“…
Diesen:
Er meint, sie handeln gegen ihre eigenen Interessen. Ihre Wirtschaft rutscht in die Rezession – nur um Russland zu schaden. Dabei hat Russland seine Wirtschaft stabilisiert, sich entwestlicht. Sie hatten eine langfristige Strategie zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit – mit Importsubstitution, Agrarförderung, technologischer Souveränität. Ich habe 2018–2020 in Moskau gelehrt – die Vorbereitung war real. Heute wächst die russische Wirtschaft trotz Krieg und Sanktionen – ein bemerkenswerter Vorgang.
Napolitano:
Wird es in Istanbul überhaupt ein Treffen zwischen Putin und Selenskyj geben?
Diesen:
Normalerweise treffen sich zuerst die Verhandler, erst wenn alles steht, kommen die Präsidenten. Es könnte einen symbolischen Handschlag geben – aber ich bezweifle, dass Putin kommt. Ich denke, es bleibt bei einem Theaterstück.
Napolitano:
Könnte Trump dann der Mann in der Mitte sein – zwischen Selenskyj und Putin?
Diesen:
Nun ja, wie Trump selbst sagt: „Das wäre gutes Fernsehen.“ Er versteht es, eine Show zu inszenieren – ob es der Diplomatie hilft, ist eine andere Frage.
Napolitano:
Professor Diesen, wie immer eine Freude. Vielen Dank, mein Freund. Bis nächste Woche!