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US-Imperialisten berauben Kuba der Spritzen, die jetzt benötigt werden
Rinaldo Wurglitsch – CC BY 2.0

US-Imperialisten berauben Kuba der Spritzen, die jetzt benötigt werden

W. T. Whitney junior ist ein politischer Journalist mit den Schwerpunkten Lateinamerika, Gesundheitsversorgung und Antirassismus. Er ist ein Aktivist der Kuba-Solidarität, arbeitete früher als Kinderarzt und lebt im ländlichen Maine.

counterpunch.org: Die USA enthält unliebsamen Ländern mittels monströser Handelsgesetze existenziell wichtige Waren vor.

Die USA sind auch das Land der Anwälte. Für Nichtspezialisten ist das Dickicht der US-Gesetze undurchdringlich. Ein solcher Verhau steht auch dem legitimen Wunsch Kubas im Wege, sich auf dem Weltmarkt mit dringend benötigten Spritzen zu versorgen. Trotz ihrer Einfachheit stellen sie ein Hightech-Produkt dar, das nur wenige Firmen herstellen können. So lastet Amerikas globale Wirtschaftsdominanz auf der Inselnation wie einst das Knie des Polizisten Derek Chauvin auf George Floyds Hals. In ähnlich hilfloser Lage befinden sich die Blockadeopfer Syrien und Venezuela. Wir Europäer können uns glücklich schätzen, dass wir — Trump sei‘s gedankt — TTIP nicht unterzeichnet haben.

Kuba, das als erstes lateinamerikanisches Land seine eigenen Covid-19-Impfstoffe entwickelt hat, fehlt es derzeit an Injektionsnadeln, um seine Bevölkerung zu immunisieren. Die Spritzen selbst herzustellen, ist für Kuba nicht ohne Weiteres möglich. Die US-Blockade verhindert, diese aus dem Ausland zu importieren.

Spritzen fehlen überall. Die New York Times schätzt den Bedarf allein für die Covid-19-Impfungen auf 8 bis 10 Milliarden Stück. Weltweit steigt die Produktionskapazität, doch das nützt Kuba nichts.

Nach Angaben von Global Health Partners braucht Kuba für die Impfkampagne „rund 30 Millionen Nadeln, von denen 20 Millionen fehlen.“ Solidaritätsorganisationen sammeln Spenden, um Spritzen zu kaufen und nach Kuba zu schicken. Interessierte Leser können spenden, in dem sie sich an Global Health Partners wenden oder hier klicken.

Der Mangel an Injektionsnadeln stellt für das kubanische Volk eine akute Notlage dar. Neu ist das nicht. Bereits 1960 rief Lester Mallory, ein Beamter des State Department, zur Wirtschaftsblockade auf und war zuversichtlich, dass das Leiden der Kubaner sie dazu bringen würde, ihre Regierung zu stürzen.

Die US-Blockade führt zu Engpässen der Grundversorgung. Den Bussen fehlt es an Benzin und Ersatzteilen, einige Buslinien mussten eingestellt werden. Auch die Lebensmittelversorgung ist prekär. Kubanische Labors und Produktionsstätten haben fünf verschiedene Covid-19-Impfstoffe entwickelt, obwohl die Versorgung mit Reagenzien und Labormaterial schwierig ist.

Kuba kann keine Beatmungsgeräte kaufen, die für schwer kranke Covid-19-Patienten benötigt werden.

Zwei Schweizer Hersteller haben ihre Lieferungen nach Kuba eingestellt, nachdem sie von einem US-Unternehmen übernommen wurden. Aber kubanische Techniker entwickelten ein eigenes Beatmungsgerät, das zeit in Produktion ist.

Die Auswirkungen der Blockade sind keinesfalls willkürlich. Die institutionalisierten Prozesse, die darauf abzuzielen, die Dominanz der USA durchzusetzen, umfassen Gesetze, Verwaltungserlasse, Regulierungen, die Auslegung von Vorschriften durch Beamte und die Vorsicht von Händler und Finanziers aus Drittländern.

Die Grundlage für das Verbot von US-Warenexporte nach Kuba beruht auf einer über viele Jahre angewachsenen Gesetzgebung. Dann verstrickte der „Cuban Democracy Act“ (Gesetz über die kubanische Demokratie)von 1992 ausländische Firmen in das Blockadesystem. Dieses Gesetz ermächtigte das US-Finanzministerium, ausländische Tochtergesellschaften von US-Firmen für Exporte nach Kuba zu lizenzieren. Es schuf tatsächlich eine Handhabe, fast alle Anträge auf solche Lizenzen abzulehnen.

Seit damals hat das Büro für die Kontrolle ausländischer Vermögenswerte (Office of Foreign Assets Control, OFAC) des Finanzministeriums, der Vollstrecker der Blockade, Spielraum gefunden, auch ausländische Firmen zu regulieren. Ausländische Firmen, die an Kuba liefern wollen, müssen mit US-Sanktionen rechnen, wenn sie Niederlassungen in den USA haben, Partnerschaften mit US-Firmen eingehen oder mit US-Dollar handeln.

Die meisten Spritzen werden weltweit von drei US-amerikanischen Unternehmen und fünf Firmen aus anderen Ländern hergestellt. Jede der Letzteren hat Verbindungen zu US-Firmen und kann daher keine Spritzen nach Kuba liefern.

So hat zum Beispiel kooperiert die deutsche B. Braun Melsungen AG e mit Concordance Healthcare Solutions, „einem der größten unabhängigen Hersteller medizinischer Produkte in den USA“. Die in Tokyo ansässige Terumo Corporation hat einen Hauptsitz in New Jersey. Osakas Nipro Corporation meldete kürzlich die „Gründung einer Gefäßabteilung in den USA“ an. Und das „medizinische Schwergewicht“ Cardinal Health hat Hauptquartiere in Irland und den USA.

Die indische Firma Hindustan Syringes and Medical Devices geriet im Januar 2021 durch die Zusammenarbeit mit Envigo Global Products als „digitalem Marketingpartner“ ins Visier der OFAC. Envigo hat seinen Hauptsitz in Indianapolis.

Wahrscheinlich suchen die Vertreter ausländischer Firmen juristischen Rat. Eine Anwaltsgruppe ist der Ansicht: „OFAC ist seit langem der Meinung, dass eine ausländische Partei, wann immer sie Geschäfte in US-Dollar tätigt, das US-Finanzsystems in Anspruch nimmt und somit den US-Sanktionsgesetzen unterliegt.“

Eine andere weist darauf hin, dass Sanktionen wahrscheinlich sind, wenn „die ausländische Partei ein erforderliches Maß an Kontakten mit den USA hat, wie etwa mit US-Produkten, Software oder Technologie.“

Die Fachzeitschrift National Law Review empfiehlt: „Ausländische Firmen (…) müssen auf Vorstandsmitglieder, Direktoren oder Mitarbeiter achten, die die US-Staatsbürgerschaft oder US-Greencards besitzen“ (1).

Präsident Barack Obama lockerte viele Blockaderegeln und nahm die diplomatischen Beziehungen zu Kuba wieder auf. Er versuchte nie, die Blockade aufzuheben. Die Biden-Administration setzt keine Priorität auf bessere Beziehungen zu Kuba. Vor Kurzem bestätigte Joe Biden die von Donald Trump vorgenommene Wiederaufnahme Kubas in die US-Liste der den Terrorismus fördernden Staaten.

Das Helms-Burton-Gesetz von 1996 verlangte zum ersten Mal, dass der Kongress über das Schicksal der Blockade entscheidet. Mit Ausnahme der im Jahre 2000 erlaubten Lebensmittelexporte nach Kuba hat der Kongress die Blockadepolitik protegiert.

Im Februar legte Senator Ron Wyden aus Oregon seinen „United States-Kuba Trade Act of 2021“ vor, der die Blockade beenden würde. Der Gesetzentwurf hat vier Co-Sponsoren. Die Senatoren Amy Klobuchar aus Minnesota, Jerry Morgan aus Kansas und Patrick Leahy aus Vermont brachten am 20. Mai den „Freedom to Export to Cuba Act“ erneut ein. Dieses Gesetz würde US-Exporte nach Kuba erleichtern, insbesondere für Agrarprodukte, den Import einiger kubanischer Produkte in die USA zulassen und alle Sanktionen beibehalten, die infolge angeblicher Menschenrechtsverletzungen verhängt wurden.

Im März schickten 80 Kongressabgeordnete einen Brief an Präsident Biden, in dem sie ihn aufforderten, die von Präsident Trump verhängten Restriktionen mittels präsidentieller Verfügung aufzuheben.

Die Wirtschaftsblockade der USA gegen Kuba ist kalkuliert, systematisch, allumfassend und unmenschlich.

Ihre Gegner bringen unterschiedliche Argumente vor. Für einige ist die Blockade grausam und illegal (2). Andere wollen Kuba verteidigen, weil es vorbildlich sowohl in Bezug auf menschliche Solidarität als auch im Hinblick auf sein Gesundheits- und Bildungssystem ist. Viele bestehen auf der Achtung der kubanischen Souveränität.

Diese Argumente stehen ohne Verbindung nebeneinander. Den Kritikern der Blockade scheint ein zentraler Blick auf deren grundlegende Ursache zu fehlen. Ein solcher wäre, so scheint es, für die Erarbeitung einer zusammenhängenden Strategie unerlässlich. Wäre das der Fall, könnten sich neue Möglichkeiten für Einbindung und Geschlossenheit ergeben. Der Kampf gegen den Rassismus in den Vereinigten Staaten zeigt eine vergleichbare Dynamik und bietet vielleicht, in Analogie einige Lehren zu ziehen.

Als Reaktion auf verschiedene Symptome der Unterdrückung haben die Verfechter der Rassengleichheit viel getan, um sich gegen Polizeimorde, ein ungerechtes Strafjustizsystem und die hohen Armuts- und Sterberate schwarzer Menschen zu wehren. Jetzt verbinden die Analysten zunehmend Vorkommnisse der Rassenunterdrückung mit dauerhaften, kapitalistisch geprägten Repressionssystemen.

Der Historiker Joshua Rothman, der über eine berüchtigte Sklavenhandelsfirma schreibt, fängt diese Assoziation im Titel seines aktuellen Buches „The Ledger and the Chain“ ein.

In ähnlicher Weise könnte die Kampagne gegen die Blockade an Stärke gewinnen, wenn sie der langen Geschichte der US-Ambitionen zur Beherrschung Kubas auf den Grund gehen würde. Ausgangspunkt müsste sein, dass die europäischen Mächte und die USA lange versucht haben, Kuba und andere Gebiete Lateinamerikas in ihren kapitalistischen Orbit zu ziehen.

Die Geschichte der Spritzen spiegelt die Pläne der USA seit dem 19. Jahrhunderts wider, sich Kuba einzuverleiben, die US-Vorherrschaft über Kuba nach dem Abzug der Spanier im Jahr 1902 und seit 1959 die Entschlossenheit, die durch die Revolution verlorene Hegemonie wiederherzustellen.