Ein bahnbrechender Bericht, veröffentlicht in der Deutschen Zeitschrift für Akupunktur, beleuchtet die wachsende Krise rund um das Post-COVID-Syndrom (PCS) und das Post-Vaccine-Syndrom (PVS). Der Hauptautor, Harald Matthes von der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Krankenhaus Havelhöhe, zeigt auf, dass in Deutschland schätzungsweise 600.000 bis 1,4 Millionen Menschen unter anhaltenden Symptomen nach einer COVID-19-Infektion oder Impfung leiden.
Doch trotz dieser hohen Zahl fehlt es an einem einheitlichen Ansatz für Diagnose, Behandlung und Gesundheitsversorgung, sodass viele Betroffene ohne angemessene medizinische Unterstützung bleiben. Über eine Million Menschen haben kaum eine Möglichkeit, kompetente ärztliche Hilfe zu finden.
Dringender Forschungsbedarf: Eine umfassende Studie entsteht
Matthes und sein Team führten eine breit angelegte Beobachtungsstudie durch, basierend auf ihrer Erfahrung mit 600 PCS/PVS-Patienten sowie über 1.800 Anfragen zu diesen Erkrankungen. Sie entwickelten einen strukturierten diagnostischen Rahmen, der standardisierte Instrumente wie den SF-36-Gesundheitssurvey, den Bell-Score, die kanadischen Kriterien und die Untersuchung auf Post-Exertional Malaise (PEM) umfasst.
Patienten wurden je nach Schweregrad eingestuft, wobei vor allem mittelschwere bis schwere Fälle priorisiert wurden. Viele Patienten wurden zunächst telemedizinisch untersucht, bevor sie vor Ort behandelt wurden.
Die wissenschaftliche Erkenntnis: Eine pathophysiologische Krise
Die Studie zeigt, dass PCS und PVS pathophysiologisch auffallend ähnlich sind. Beide Erkrankungen stehen im Zusammenhang mit Immundysfunktion, persistierendem Spike-Protein und mikrovaskulären Komplikationen. Matthes beschreibt drei Hauptmechanismen:
- GPCR-Autoantikörper (80-90 % der Patienten):
Diese durch das Spike-Protein ausgelösten Antikörper binden an wichtige Rezeptoren wie ACE2, adrenerge und muskarinische Rezeptoren. Dies führt zu Dysautonomie, Myopathie, chronischer Müdigkeit und kognitiver Dysfunktion. Die ständige Überstimulierung verursacht eine metabolische Erschöpfung, was sich in Post-Exertional Malaise äußert – einem Leistungseinbruch nach Anstrengung. - Persistenz des Spike-Proteins (15-30 % der Patienten):
Bei einigen Betroffenen bleibt das Spike-Protein lange nach der Infektion oder Impfung in Immunzellen, Plasma und Exosomen erhalten. Dies wird mit Gefäßentzündungen, kognitiven Störungen und Bewegungseinschränkungen in Verbindung gebracht. - Mikrothrombose (5-15 % der Patienten):
In einigen Fällen verstopfen die Mikrokapillaren durch Fibrinablagerungen, was zu Sauerstoffmangel, Organstress und systemischen Entzündungen führt. Die Nagelfalzkapillarmikroskopie wurde genutzt, um diese mikrothrombotischen Veränderungen nachzuweisen.
Diagnose- und Behandlungsprobleme in Deutschland
Die Studie offenbart erhebliche Defizite in der Diagnostik von PCS und PVS. Trotz zahlreicher Hinweise auf Immunstörungen fehlt es an Laboreinrichtungen, die in der Lage sind, GPCR-Autoantikörper oder persistierende Spike-Proteine zuverlässig nachzuweisen.
Nur drei spezialisierte Labors bieten Tests auf bioaktive GPCR-Antikörper an (E.R.D.E., Berlin Cures, Cell-Trend), während das MMD-Labor in Magdeburg eines der wenigen ist, das Spike-Proteine in Immunzellen detektieren kann.
Experimentelle Therapieansätze
Bislang gibt es keine universelle Behandlung, doch mehrere experimentelle Therapien werden getestet:
Therapie | Beschreibung |
---|---|
Spike-Protein-Eliminierung | Kombination aus Ivermectin, Nattokinase, Bromelain und Acetylcystein zur Entfernung von Spike-Protein aus dem Blut. |
Monozyten-Therapie | Falls das Spike-Protein in CX3CR1-Monozyten gefunden wird, kommt das HIV-Medikament Maraviroc (CCR5-Inhibitor) für 2-4 Wochen zum Einsatz. |
Exosomen-Therapie | Hyperthermie-Therapie (Erwärmung des Körpers auf 39,5 °C) soll eingeschlossene Spike-Proteine zerstören. |
Autoantikörper-Entfernung | Immunadsorptions-Apherese (IA) – eine Blutreinigung zur Entfernung schädlicher Autoantikörper. |
Mikrothrombose-Behandlung | Patienten mit Gefäßschäden erhalten Clopidogrel oder direkte orale Antikoagulanzien (DOACs). |
Zusätzlich werden anthroposophische und pflanzliche Therapien untersucht, doch ihre Wirksamkeit ist noch nicht bestätigt.
Einschränkungen der Studie
Trotz wegweisender Erkenntnisse gibt es offene Fragen:
- Fehlende Kontrollgruppen: Aufgrund des Beobachtungscharakters der Studie ist es schwer, vorbestehende Erkrankungen von PCS/PVS zu unterscheiden.
- Kleine Stichprobengrößen: Während einige Behandlungen vielversprechend erscheinen, fehlen Langzeitstudien zur Wirksamkeit.
- Eingeschränkter Zugang zur Gesundheitsversorgung: Viele experimentelle Therapien werden nicht von Krankenkassen übernommen, sodass Patienten hohe Eigenkosten tragen müssen.
Eine drohende Gesundheitskrise?
Matthes’ Ergebnisse zeichnen ein alarmierendes Bild: Millionen von Menschen mit PCS/PVS erhalten keine adäquate medizinische Versorgung. Viele Ärzte stufen ihre Beschwerden als psychosomatisch ein oder haben keinen Zugang zu modernen Diagnostikmethoden.
Die Studie fordert deshalb dringende Reformen:
✔️ Bessere Labortests für Immunstörungen
✔️ Gezielte klinische Studien für wirksame Behandlungen
✔️ Ausbau der medizinischen Versorgung für PCS/PVS-Patienten
Zudem wirft die Studie heikle Fragen zur Impfstoffsicherheit auf: Während COVID-19-Impfungen für die Mehrheit der Bevölkerung sicher waren, könnte eine kleine Patientengruppe unerwartete Immunreaktionen erlitten haben. Angesichts laufender Auffrischungskampagnen ist die Anerkennung und Behandlung impfbedingter Syndrome entscheidend, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu bewahren.
Fazit: Ein wissenschaftlicher Weckruf
Matthes’ Studie zeigt: PCS und PVS sind reale, schwere Erkrankungen, doch das medizinische System ignoriert sie weitgehend. Ohne schnelles Handeln – mehr Forschung, finanzielle Unterstützung und neue Diagnosemöglichkeiten – könnte sich PCS/PVS zur größten unbehandelten Gesundheitskrise der Post-Pandemie-Zeit entwickeln.
Bleibt die Frage: Wird die medizinische Gemeinschaft reagieren – oder werden diese Patienten im Schatten der Pandemie vergessen?