Eine kürzlich in FASEB BioAdvances veröffentlichte Open-Access-Studie, geleitet von Dr. Luca Sanguigno und Dr. Natascia Guida an der Abteilung für Neurowissenschaften, Reproduktions- und Zahnmedizin der medizinischen Fakultät der Universität Federico II in Neapel, untersucht das neurotoxische Potenzial der SARS-CoV-2-Spike-S1-Untereinheit. Die Studie wurde vom süditalienischen Forschungsnetzwerk MNESYS, finanziert durch das italienische Ministerium für Bildung, Universitäten und Forschung, unterstützt. Die Forscher zeigen anhand menschlicher SH-SY5Y-Zellmodelle, dass das S1-Protein allein – also ohne vollständige Virusinfektion – über eine klar definierte NRP1/HDAC4/CREB/RIPK1-Signalachse den Zelltod von Nervenzellen auslösen kann.
Die Autoren betonen:
„Dies ist der erste Bericht, der die molekularen Determinanten identifiziert, die an der durch Spike-S1 ausgelösten Neurotoxizität beteiligt sind.“
Studienaufbau
Zum Einsatz kamen sowohl eine mRNA-Vektortransfektion für das S1-Protein als auch die direkte Exposition mit rekombinantem Spike-S1-Protein (S1rp) in differenzierten SH-SY5Y-Neuronen. Für die mechanistischen Untersuchungen nutzte das Team pharmakologische Inhibitoren, siRNA-Knockdowns, qRT-PCR, Western Blotting sowie konfokale Bildgebung. Zusätzlich simulierten sie einen ischämischen Schlaganfall mithilfe von Sauerstoff-Glukose-Entzug/Reoxygenierung (OGD/Rx), um mögliche additive neurotoxische Effekte durch S1 zu untersuchen.
Befunde & Ergebnisse
Die Studie zeigte, dass nur der S1-Teil des Spike-Proteins – nicht aber S2 – deutliche neuronale Schäden verursachte. Dies äußerte sich in verringerter Zellüberlebensrate und erhöhten Markern für Zelltod. Die Forscher nutzten eine im Labor hergestellte Form des S1-Proteins (S1rp) und fanden heraus, dass dieses über den Rezeptor Neuropilin-1 (NRP1) – und nicht über ACE2 – in Gehirnzellen gelangt. Das passt zu früheren Studien, die zeigen, dass ACE2 im Gehirn kaum vorhanden ist.
Einmal in der Zelle angekommen, setzte das S1-Protein eine Kaskade in Gang: Es erhöhte das Protein HDAC4, was wiederum zu einer Senkung des CREB-Proteins führte. CREB reguliert normalerweise RIPK1, ein entscheidendes Molekül zur Steuerung des programmierten Zelltods. Bei sinkendem CREB stieg RIPK1 an – was eine sogenannte Nekroptose auslöste, eine Form des kontrollierten Zelltods. Die Forscher konnten diesen Mechanismus bestätigen, indem sie NRP1, HDAC4 oder RIPK1 blockierten oder den CREB-Spiegel erhöhten – was den Zelltod verhinderte.
Besonders kritisch: In Kombination mit ischämischem Stress (OGD/Rx) verstärkte sich die Zellschädigung deutlich – S1 und Sauerstoffmangel verstärkten sich über denselben schädlichen Mechanismus gegenseitig.
Es wurde nicht untersucht, ob das verwendete S1-Protein aus einer Infektion oder einer mRNA-Impfung stammt. Auch zur Verweildauer des Spike-Proteins nach einer Impfung wurden keine Aussagen getroffen.
Die Ergebnisse unterstützen frühere Hinweise darauf, dass das Spike-Protein allein, ohne das komplette Virus, unter bestimmten Bedingungen neurotoxisch wirken kann – ein kontroverses Thema, das jedoch durch diese Studie wissenschaftlich weiter beleuchtet wird.
Einschränkungen
- Es handelt sich um eine In-vitro-Studie mit Neuroblastom-Zellen; Rückschlüsse auf echtes menschliches Nervengewebe sind nur begrenzt möglich.
- Die verwendete Konzentration von 100 ng/ml orientiert sich an früheren Studien, spiegelt aber eventuell nicht realistische Expositionswerte nach einer Impfung wider.
- Es wurden keine Daten zur Verweildauer, Verteilung oder Clearance von S1 nach mRNA-Impfung erhoben.
- Eine Bewertung klinischer Auswirkungen – etwa das Schlaganfall- oder Neurodegenerationsrisiko nach Impfung vs. Infektion – erfolgte nicht.
Finanzierung & Offenlegung
Gefördert wurde das Projekt durch das italienische Bildungsministerium sowie den Nationalen Wiederaufbauplan (NRRP). Die Autoren geben an, keine Interessenkonflikte zu haben.
Fazit
Diese peer-reviewte Studie liefert erstmals einen mechanistischen Beweis dafür, dass das Spike-S1-Protein von SARS-CoV-2 direkt neuronale Zellen schädigen kann – über einen definierten epigenetischen und nekroptotischen Signalweg (NRP1/HDAC4/CREB/RIPK1). Dieser Mechanismus könnte sowohl bei natürlicher Infektion als auch nach Impfstoff-Exposition relevant sein.
Zwar erlaubt die Studie keine direkten Schlussfolgerungen zur Sicherheit von mRNA-Impfstoffen, sie wirft jedoch wichtige biologische Fragen auf – insbesondere im Hinblick auf die Dauer der Spike-Präsenz im Körper und mögliche neurologische Nebenwirkungen. Weitere Studien sind dringend nötig.
Forschungsleitung
- Dr. Luca Sanguigno, Abteilung für Pharmakologie, Medizinische Fakultät, Universität Federico II, Neapel
- Dr. Natascia Guida, Abteilung für Neurowissenschaften, Universität Federico II, Neapel
- Dr. Mariarosaria Cammarota, Pharmakologie, Universität Federico II, Neapel
- Dr. Silvia Ruggiero, Pharmakologie, Universität Federico II, Neapel
- Dr. Angelo Serani, Neurowissenschaften und Gehirntechnologien, Istituto Italiano di Tecnologia, Genua
- Dr. Francesca Galasso, Pharmakologie, Universität Federico II, Neapel
- Dr. Vincenzo Pizzorusso, Pharmakologie, Universität Federico II, Neapel
- Dr. Francesca Boscia, Pharmakologie, Universität Federico II, Neapel
- Dr. Luigi Formisano (Korrespondenz), Universität Federico II, Neapel