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Syriens Christen werden erneut angegriffen – diesmal von denen, die vorgeben, sie zu schützen

Unter der Herrschaft einer umbenannten Al-Qaida-Regierung ist die christliche Minderheit Syriens staatlich sanktioniertem Terror ausgesetzt – diesmal in ihren eigenen Kirchen. Der Bombenanschlag vom 22. Juni auf die griechisch-orthodoxe Kirche Mar Elias in Damaskus forderte nicht nur 25 Tote und 52 Verletzte, sondern erschütterte auch den letzten verbliebenen Schutz, an den sich die Christen Syriens bislang klammerten. Der Anschlag steht sinnbildlich für die zunehmend konfessionell geprägte Herrschaft der neuen syrischen Führung, die ideologisch aus der Al-Qaida hervorgegangen ist und von Ahmad al-Sharaa – besser bekannt als Abu Mohammad al-Julani – angeführt wird.

Einst von ISIS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi ausgesandt, um die Nusra-Front zu gründen, regiert Sharaa heute Damaskus über das Machtinstrument Hayat Tahrir al-Sham (HTS) – ein Aufstieg, der durch ein Jahrzehnt westlicher Regimewechsel-Operationen möglich wurde. Unter dieser neu etikettierten salafistisch-extremistischen Herrschaft sieht sich die durch Krieg, Vertreibung und Verfolgung bereits stark dezimierte christliche Minderheit einer neuen Welle gezielter Gewalt ausgesetzt – begleitet von staatlicher Gleichgültigkeit.

Ein Massaker in Damaskus

Während der Sonntagsmesse in der Mar-Elias-Kirche im Stadtteil Duweila eröffnete ein Angreifer mit einer automatischen Waffe das Feuer auf die Gläubigen und zündete anschließend eine Sprengstoffweste. Die Aufnahmen zeigten blutüberströmte Böden, zerstörte Kirchenbänke, pulverisiertes Mauerwerk. Nur 15 Minuten nach dem Anschlag gab das syrische Innenministerium eine Erklärung heraus und machte den IS verantwortlich: „Er eröffnete das Feuer auf die Versammlung, bevor er sich mit einer Sprengstoffweste in die Luft sprengte.“

Doch viele Syrer äußerten Zweifel: Dass Innenminister Anas Khattab – ein Mitbegründer der Nusra-Front, die einst vom UN-Sicherheitsrat als Terrororganisation gelistet wurde – so schnell über Identität und Zugehörigkeit des Täters informiert war, erschien fragwürdig. Auf Facebook fragte ein Kommentator: „Wie konnte das Innenministerium nach 15 Minuten die Identität des Mörders bekannt geben, der sich in der Kirche in die Luft gesprengt hat – während es nach sechs Monaten der angeblichen Verfolgung der Mörder des Massakers an den Alawiten an der Küste niemanden gefunden hat? Woher wussten sie sofort, dass es der IS war?“

Am Folgetag erklärte Khattab, seine Truppen hätten die verantwortliche ISIS-Zelle aufgespürt und bei einer Razzia in den Vororten von Damaskus mehrere Mitglieder verhaftet. Es habe Zusammenstöße gegeben, zwei Terroristen seien getötet worden. Die veröffentlichten Aufnahmen der Operation wirkten jedoch gestellt und inszeniert – Hinweise darauf, dass es sich um eine mediale Fälschung handelte. Bereits im Januar hatte HTS eine ähnliche „Razzia“ publik gemacht und angeblich einen IS-Angriff auf den schiitischen Sayyeda-Zaynab-Schrein in den südlichen Vororten Damaskus verhindert – auch das war offensichtlich inszeniert.

Ein ehemaliger Nusra-Kommandant erklärte auf X die Logik hinter der Inszenierung: Der Anschlag werde dem IS zugeschrieben, damit sich „die internationale Gemeinschaft um die Regierung schart“, um ihr mehr Unterstützung zu gewähren und Syrien offiziell in die Anti-IS-Koalition aufzunehmen. Gleichzeitig lasse die Regierung angeblich inhaftierte ISIS-Kommandeure aus den Gefängnissen von Idlib frei, um sie dann im geopolitischen Tauschhandel gegen Sanktionserleichterungen auszuschlachten.

Tatverdächtiger: Mitglied der Sicherheitskräfte

Doch diese Version bröckelte rasch. Laut dem Journalisten Aws Nizar Darwish war der Täter des Anschlags auf die Mar-Elias-Kirche ein Mitglied der syrischen Sicherheitskräfte unter Innenminister Khattab selbst. Es handelte sich um den 18-jährigen Zyad Anwar al-Idlibi – einen Freiwilligen der Allgemeinen Sicherheit. Derselbe Mann, so Darwish, war zwei Wochen zuvor bereits durch das Viertel Duweila gefahren und hatte Christen öffentlich bedroht und zum Übertritt zum Islam aufgefordert. Er stammte aus einem Dorf in Idlib und trat der Sicherheitseinheit im Januar bei. „Fragen Sie irgendjemanden in Duweila nach ihm – sie kennen ihn“, sagte Darwish.

Auch die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) meldete, dass ein Mitarbeiter des syrischen Verteidigungsministeriums aus Deir Ezzor in den Anschlag verwickelt war und zu den Verletzten zählte, die ins Krankenhaus gebracht wurden.

Staatlich unterstützter Extremismus

Während der Staat versuchte, die Kontrolle über das Narrativ zu behalten, bekannte sich eine bisher kaum bekannte HTS-Abspaltung namens Saraya Ansar al-Sunnah zur Tat. Doch selbst nach mehreren dokumentierten Massakern an Alawiten im März – bei denen mindestens 1.700 Menschen starben – hatte die Regierung nie vor dieser Gruppe gewarnt.

Stattdessen wurden Christen nach dem Anschlag erneut daran erinnert, wie tief die Feindseligkeit in Teilen der syrischen Führung gegenüber ihrem Glauben sitzt. In den offiziellen Verlautbarungen nach dem Anschlag wurden die Getöteten nicht als „Märtyrer“, sondern lediglich als „Opfer“ bezeichnet – eine sprachliche Marginalisierung, die viele empörte.

In christlichen Kreisen kursierte ein altes Video: Darin zerstört General Murhaf Abu Qasra, heute Verteidigungsminister, eine Marienstatue. Das Video stammt aus der Zeit, als Abu Qasra HTS-Kommandant war – während des von der CIA unterstützten Bürgerkriegs gegen Präsident Assad.

Obwohl Christen im März von den Massakern nicht direkt betroffen waren, wurde einigen bei der Flucht gesagt: „Heute verschonen wir euch – aber ihr seid die Nächsten.“ Dieser Drohung wurde einst in der Parole der syrischen Rebellen Ausdruck verliehen: „Die Alawiten ins Grab, die Christen nach Beirut.“

Mehrere Beobachter wiesen zuletzt darauf hin, dass Innenminister Khattab Christen in früheren Schriften mehrfach abfällig erwähnte. Nach den US-Luftangriffen in Syrien 2014 veröffentlichte er ein Buch, in dem er die „Mudschaheddin“ im Kampf gegen eine Koalition aus „Kreuzfahrern“, „Kreuzanbetern“ und „Nusayris“ (abwertender Begriff für Alawiten) sieht – ein Aufruf zum „heiligen Krieg gegen Ungläubige“.

Von Bucca nach Damaskus

Der heutige De-facto-Präsident Syriens, Ahmad al-Sharaa, ist nicht weniger kompromittiert. Als hochrangiger ISIS-Kommandant beaufsichtigte er Selbstmordattentate gegen Christen und Schiiten im Irak. Auf Anweisung von Baghdadi wurde er nach Syrien entsandt, um die Nusra-Front aufzubauen. 2010 koordinierte sein Kollege Haitham Balawi den ISIS-Anschlag auf die Sayidat-al-Nejat-Kathedrale in Bagdad – dabei wurden 70 Menschen getötet, darunter 51 Gläubige und zwei Priester.

Balawi, Sharaa und Baghdadi wurden alle im US-Gefangenenlager Bucca im Irak festgehalten und später freigelassen. Das Lager wurde von US-Offizieren später als „Dschihadisten-Universität“ bezeichnet.

Sharaa wurde danach von US-Botschafter Robert Ford – einem Architekten der CIA-Operation Timber Sycamore – persönlich gefördert. Ford traf ihn während dessen Aufstieg mit HTS in Idlib. Obwohl Sharaa sich nie für seine Vergangenheit entschuldigte, betrachteten Ford und der britische Geheimdienst ihn als potenziellen künftigen Führer eines Syriens nach Assad.

Im Dezember 2024 wurde dieses Szenario Realität. Assad floh nach Moskau, die Armee zerfiel, und HTS übernahm Damaskus. Die Hauptstadt fiel in die Hände einer Koalition aus neu etikettierten dschihadistischen Sunniten und westlich gestützten Kollaborateuren.

Christliche Zukunft in Gefahr

Seit Sharaa und HTS in Damaskus an der Macht sind, ist die Lage der Christen prekärer denn je. Die einstige Wiege des syrischen Christentums – Damaskus, wo Paulus seine Bekehrung erlebte – steht heute für Unsicherheit und konfessionellen Terror.

Mit dem Anschlag auf Mar Elias wurde die angekündigte Drohung wahr: Die Christen sind jetzt das Ziel.

Wie der syrisch-armenische Politologe Kevork Almassian feststellte:

„90 Prozent der syrischen Christen sind bereits geflohen – vertrieben durch den CIA-geführten Regimewechselkrieg. Noch mehr verließen das Land, als das Al-Qaida-Regime in Damaskus die Macht übernahm. Jetzt sprengen sich Selbstmordattentäter in Kirchen in die Luft. Die Christen in Syrien haben niemanden mehr, der sie schützt. Niemanden.“

Ihre Auslöschung ist längst kein Kollateralschaden mehr – sie ist das logische, unausweichliche Ergebnis eines Staates, der nun von jenen regiert wird, die einst geschworen haben, sie zu vernichten.