Pepe Escobar
Es gibt verheißungsvolle Zeichen auf der anderen Seite der Dystopie. Und genau hier in Russland.
Das Global Digital Forum, das letzte Woche im malerischen Nischni Nowgorod stattfand, markierte einen Meilenstein auf dem Weg zu einer gerechteren Medienlandschaft im gesamten Globalen Süden.
Im Mittelpunkt: eine neue, ehrgeizige Initiative – das Global Fact-Checking Network (GFCN). Die Abschlusssitzung des Forums widmete sich ganz der Frage, wie man die toxischen Verzerrungen der sogenannten Post-Wahrheits-Ära bekämpfen kann – insbesondere die Faktenüberprüfung der Fake-News-Lawinen, die in den meisten Fällen von Staaten und offiziellen Institutionen ausgehen.
Ehrengast war Maria Zakharova, Russlands diplomatischer Superstar. Gelassen und entschlossen forderte sie wie ein moderner Deng Xiaoping: „Kämpft für die Wahrheit und sucht nach den Fakten.“
Ich selbst hatte – dem Zufall sei Dank – genau zwei Minuten Zeit, unsere erhellende Diskussion zu beenden. Ich wählte das Essenzielle und zitierte Nietzsche: „Es gibt keine Fakten, nur Interpretationen.“
Zu meiner Überraschung traf dieser Satz vor allem bei den afrikanischen Delegierten einen empfindlichen Nerv.
Denn im künstlich erzeugten Klima der Post-Wahrheit sind nicht nur Fakten nur dann Fakten, wenn „sie es sagen“ – vielmehr ist nur eine Interpretation erlaubt. Ob vom Imperium des Chaos, der EU oder einem kafkaesken Institutionenkomplex – wer von der offiziellen Lesart abweicht, wird verfolgt.
In Europa führte das bereits dazu, dass Journalisten an der Einreise in ihre eigenen Länder gehindert, ihre Konten eingefroren oder sie bei ihrer Arbeit behindert wurden. In Rumänien wurden Reporter sofort abgeschoben, weil sie über eine angeblich demokratische Wahl berichten wollten.
Ein Essay über Nietzsche verdeutlicht die kulturelle Selbstzerstörung Europas. Nietzsche – der unzeitgemäße Außenseiter, der „Steppenwolf“ – stellte sich nie in den Dienst irgendeiner Macht. Er war der frühe Seismograf für die „flache Erschöpfung der bürgerlichen Moderne“, suchte vergeblich nach „Silhouetten im Schatten“ – und wurde zum Inbegriff des Widerstands. So wie heute die Achse des Widerstands in Westasien oder die orthodoxen Bataillone in Noworossija.
Nietzsche zertrümmerte eine Illusion nach der anderen – und machte seine Einsamkeit zur Liturgie, seinen Körper zum Protest. Er war der „Geist des Adels“. Eine Spezies, die auszusterben droht.
Techno-Feudalismus: Visionäre, Oligarchen, Kontrollmaschinen
Diese kristallklare Intuition Nietzsches – vielleicht die treffendste Definition von Wahrheit in der Geschichte der Philosophie – kann uns durch das Labyrinth der heutigen Propaganda führen. Wo, wie in Twin Peaks, „die Eulen nicht das sind, was sie scheinen“.
Ein Symbol dieser neuen Täuschung trat letzte Woche in Russland auf: Errol Musk, Vater von Elon, erschien auf dem Forum Future 2050 in Moskau. In hymnischem Tonfall lobte er Russland als „Altes Rom 2.0“ und Moskau als „Hauptstadt der Welt“.
Doch entscheidend ist, warum Papa Musk in Russland ist: Es passt zu einer Strategie, mächtige Sektoren des Silicon Valley – angeführt von Elon Musk und Peter Thiel – zur Kooperation mit Russland zu bewegen.
Die Beteiligten sind keine Unbekannten: Die sogenannte PayPal-Mafia. Ihre Interessen reichen weit: soziale Netzwerke, Biotechnologie, Raumfahrt, Überwachung, geopolitische Einflussnahme – mit Milliardenbudgets, die Demokratie nur noch als Fassade benutzen.
Martin Armstrong beschreibt diese Clique treffend als eine neue Oligarchie: Akteure wie Musk, Thiel und deren Gefolgsleute beeinflussen nicht nur wirtschaftliche, sondern zunehmend auch gesellschaftliche Narrative.
Beispiel: J.D. Vance, Thiels bevorzugter Kandidat für das Amt des US-Präsidenten. Oder Palantir, das totalitäre Datentechnologieunternehmen unter Alex Karp, das eine zentrale Datenbank der USA aufbauen soll – basierend auf hochentwickelter KI.
Und dann ist da noch Trumps „Big Beautiful Bill“: Ein Gesetz, das ein 10-jähriges Moratorium gegen jede Regulierung von KI auf Bundes- und Landesebene vorsieht. Ein Freifahrtschein für Deepfakes, Desinformation, Konsumentenmanipulation.
Die Frage lautet also: Wie überprüft man die Tech-Elite?
Wie stellt man die Wahrheit gegenüber Konzernen sicher, die Regierungen versorgen, Politik finanzieren und ganze Medien-Ökosysteme mit KI-generierten Propaganda-Clustern überschwemmen?
Sibirien statt Silicon Valley
Und doch: Hoffnung kommt aus dem Osten – konkret aus Russland.
Ein Interview von Nora Hoppe und Tariq Marzbaan mit dem legendären Sergey Karaganov, Ehrenvorsitzender des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, beleuchtet genau diesen Gegenentwurf.
Karaganov entwirft eine Vision Russlands, das sich auf seine tiefen Wurzeln in Eurasien besinnt: Skythen, Byzanz, die Pax Mongolica – alles Elemente einer spirituellen, kulturellen und wirtschaftlichen Re-Orientierung gen Osten.
„Wir entdecken in uns selbst die Wurzeln, die uns mit den Völkern Eurasiens verbinden.“
Byzanz – einst das fortschrittlichste, reichste und intellektuell blühendste Zentrum Eurasiens – prägte Russlands Religion, Kultur und Architektur.
Die Mongolenherrschaft, so Karaganov, hinterließ ein Erbe der religiösen Toleranz und Multikulturalität, das Russland bis heute prägt.
Dies führt zur „Sibirisierung“ Russlands: Eine bewusste Abwendung vom dekadenten Westen, hin zu einer eigenständigen, souveränen Zivilisation.
„Die westliche Richtung unserer Politik hat düstere Aussichten.“
Karaganov, dessen Worte bei Präsident Putin Gehör finden, spricht vom zivilisatorischen Kampf gegen Techno-Barbarei und Entmenschlichung.
Gegen den Techno-Feudalismus.
Pepe Escobars Fazit ist klar:
Die Antwort auf globale Kontrollsysteme liegt nicht im Westen, sondern in einem multipolaren Eurasien.
Nicht im Silicon Valley, sondern in Sibirien.