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NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, links, und der finnische Verteidigungsminister Antti Kaikkonen (Foto: AP Photo/Olivier Matthys/TASS)

Arktischer Krieg beginnt, bevor das Polareis schmilzt

USA sehen Finnlands NATO-Mitgliedschaft als Einkreisung Russlands

Am Sitz der Nordatlantikpakt-Organisation in Brüssel wurde zum ersten Mal die finnische Nationalflagge gehisst (4.04.2023 – S.D.), was gleichzeitig den 74. Jahrestag dieses westlichen Bündnisses markiert. Für Finnland bedeutet dies eine historische Abkehr von seiner Neutralitätspolitik.

Auch ohne jegliche Propaganda kann nun jeder sagen, dass Finnland doch einer Sicherheitsbedrohung durch Russland ausgesetzt ist. Es handelt sich um einen Akt der grundlosen Wut der NATO auf Russland, der natürlich immer die Zustimmung der Vereinigten Staaten findet, während er einem weltweiten Publikum als souveräne Entscheidung Finnlands vor dem Hintergrund des russischen Einmarsches in der Ukraine dargestellt wird.

Nach der Sabotage der Nord-Stream-Pipelines im vergangenen September kann dies nur als ein weiterer Schachzug der USA angesehen werden, der darauf abzielt, die Beziehungen Russlands zu Europa zu erschweren und auf absehbare Zeit unerträglich zu machen.

Andererseits wird dadurch die europäische Sicherheitslandschaft noch instabiler und die Abhängigkeit von den USA als Sicherheitsanbieter größer. Allgemein wird erwartet, dass der schwedische Beitritt zur NATO nun folgt – möglicherweise gerade noch rechtzeitig vor dem Juli-Gipfel der Allianz in Vilnius.

Die USA haben dafür gesorgt, dass das Hauptproblem der Konfrontation zwischen Russland und dem Westen, nämlich die Ausdehnung der NATO bis an die Grenzen Russlands, eine vollendete Tatsache ist, unabhängig vom Scheitern ihres Stellvertreterkriegs in der Ukraine gegen Russland.

Als Reaktion auf diese Entwicklung warnte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, dass die Mitgliedschaft Finnlands in der NATO Russland zwingen werde, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um unsere eigene taktische und strategische Sicherheit zu gewährleisten, da die militärische Vereinbarung von Helsinki eine Eskalation der Situation und einen Eingriff in die Sicherheit Russlands darstelle.

Am 4. April erklärte das russische Außenministerium, dass “die Russische Föderation gezwungen sein wird, Vergeltungsmaßnahmen zu ergreifen, sowohl militärischer als auch technischer und anderer Art, um die Bedrohung unserer nationalen Sicherheit einzudämmen”.

Durch den Beitritt Finnlands zum Bündnis würde sich die Frontlinie der NATO zu Russland um 1.300 Kilometer (die Länge der finnisch-russischen Grenze) verlängern, was den Druck auf die nordwestlichen Regionen Russlands erhöhen würde. Seien Sie nicht überrascht, wenn irgendwann NATO-Raketen in Finnland stationiert werden und Russland keine andere Wahl bleibt, als seine Atomwaffen in der Nähe des Baltikums und Skandinaviens einzusetzen.

Die militärische Konfrontation zwischen der NATO und Russland wird weiter eskalieren, und die Wahrscheinlichkeit eines nuklearen Konflikts nimmt zu. Es ist schwer vorstellbar, dass Russland nicht in der Lage sein wird, seine Zweitschlagskapazität um jeden Preis aufrechtzuerhalten oder die Vereinigten Staaten daran zu hindern, die nukleare Überlegenheit zu erlangen und das globale strategische Gleichgewicht zu wahren.

Der Schwerpunkt wird eher auf der Modernisierung der nuklearen Verteidigungsfähigkeiten als auf den konventionellen Streitkräften liegen, so dass Russland gezwungen sein wird, seine Nuklearmacht zu demonstrieren. Russland hat seine Abschreckung bereits eingesetzt, indem es als Reaktion auf die unverantwortliche Entscheidung Großbritanniens, der Ukraine Munition mit abgereichertem Uran zu liefern, taktische Atomwaffen in Weißrussland stationiert hat. Auch im Ukraine-Konflikt wird Russland mit ziemlicher Sicherheit seine Anstrengungen verdoppeln.

In der Zwischenzeit haben die USA seit langem taktische Atomwaffen in europäischen Ländern wie Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und der Türkei stationiert, also vor der Haustür Russlands, was eine erhebliche Bedrohung für die nationale Sicherheit Russlands darstellt. Russlands Stationierung in Weißrussland zielt darauf ab, potenzielle US-Provokationen abzuschrecken.

Die geografische Lage Weißrusslands ist so beschaffen, dass eine Stationierung russischer taktischer Atomwaffen dort eine enorme strategische Abschreckungswirkung auf mehrere NATO-Länder wie Polen, Deutschland, die baltischen Staaten und sogar Skandinavien hätte. Es entsteht ein Teufelskreis, der das nukleare Wettrüsten verschärft und schließlich zu einer Weltuntergangssituation führt, die niemand sehen will.

Das Gesamtbild ist, dass die USA, wohl wissend, dass die Situation extrem gefährlich werden könnte, dennoch unerbittlich den Druck auf Russland erhöhen, um ihr Hegemoniesystem aufrechtzuerhalten. Die Strategie von Ronald Reagan, die ehemalige Sowjetunion mit extremen Druckmitteln zu schwächen und letztlich zum Zusammenbruch zu führen, ist wieder in Aktion.

Kurzfristig hätte all dies negative Auswirkungen auf den Konflikt in der Ukraine. Es ist klar, dass Washington dort keinen Frieden mehr anstrebt. Nach dem strategischen Kalkül der Regierung Biden würde ein Sieg Russlands in der Ukraine eine Niederlage für die NATO bedeuten und der transatlantischen Führungsrolle und der globalen Hegemonie der USA einen irreparablen Schaden zufügen, der für das Washingtoner Establishment schlicht undenkbar ist.

Der Versuch der USA und der NATO, Finnland (und Schweden) zu einem NATO-Beitritt zu bewegen, hat zweifellos auch eine geoökonomische Dimension. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erklärte kürzlich: “Wenn Finnland und Schweden der Allianz beitreten, wird die NATO mehr Kontrolle über den hohen Norden haben. Er erläuterte, dass “beide Länder über moderne Streitkräfte verfügen, die in der Lage sind, gerade unter den rauen Bedingungen des hohen Nordens zu operieren.

Die USA hoffen, dass die “Erfahrung” in arktischen und subarktischen Operationen, die Schweden und Finnland in das Bündnis einbringen können, von unschätzbarem Wert ist, wenn es um den erbitterten Kampf um die Kontrolle der riesigen Bodenschätze im hohen Norden geht, bei dem Russland noch immer die Nase vorn hat.

Da das Polareis in der Arktis in einem noch nie dagewesenen Tempo schmilzt, sehen die größten Akteure der Welt diese Region als neues “Niemandsland”, das es zu erobern gilt. Kürzlich wurde berichtet, dass Schritte unternommen werden, um die Luftstreitkräfte von vier nördlichen Ländern – Dänemark, Norwegen, Finnland und Schweden – mit einer offenkundig antirussischen Ausrichtung zu integrieren.

Arktische Ressourcen.

Aus militärischer Sicht hat Russland die schwere finanzielle Last einer umfassenden Bewertung seiner nationalen Sicherheitsagenda zu tragen. Russland hat kein Bündnissystem, um seine militärischen Ressourcen zu ergänzen. In einer wichtigen Erklärung im Februar strich der Kreml jegliche Erwähnung des so genannten Arktischen Rates aus seiner Arktispolitik und betonte die Notwendigkeit, Russlands Interessen in der Arktis Priorität einzuräumen und eine größere Autonomie bei arktischen Industrieprojekten anzustreben.

Die überarbeitete Arktispolitik sieht “die Entwicklung von Beziehungen mit ausländischen Staaten auf bilateraler Basis… unter Berücksichtigung der nationalen Interessen der Russischen Föderation in der Arktis” vor. Dies geschah nur wenige Tage, nachdem ein Sprecher des US-Außenministeriums erklärt hatte, eine Zusammenarbeit mit Russland in der Arktis sei nun praktisch unmöglich.

Autor: M. M.K. Bhadrakumar. Bhadrakumar ist Botschafter im Ruhestand und Kolumnist für die indischen Zeitungen Hindu und Deccan Herald, Asia Times, Rediff.com, Russia & India Report und die in Moskau ansässige Strategic Culture Foundation.

Übersetzung von Sergey Dukhanov