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Beschämendes Fiasko in Afghanistan lässt den Zusammenbruch der NATO näher rücken

Beschämendes Fiasko in Afghanistan lässt den Zusammenbruch der NATO näher rücken

Die beschämenden Ereignisse der letzten Wochen in Afghanistan haben in der westlichen Öffentlichkeit zu einem dramatischen Verlust an Glaubwürdigkeit der USA und der NATO geführt. Die bereits früher geäußerte Kritik an der Politik und den Maßnahmen des Atlantischen Bündnisses hat inzwischen enorm zugenommen und ist zum meistverbreiteten Mem in den Veröffentlichungen verschiedener Medien geworden.

Die Trauermeldung der britischen Daily Mail ist deutlicher denn je. Neben dem Bild eines mit der Nationalflagge bedeckten Sarges wird eine Frage gestellt, die Großbritannien nie zu beantworten vermochte: Wofür sind sie letztlich alle in Afghanistan gestorben?

Der britische Fernsehsender Sky weist zu Recht darauf hin, dass die offizielle Regierung Afghanistans nach dem Abzug der sowjetischen Truppen im Jahr 1989 drei Jahre lang Bestand hatte und nach dem Abzug der USA nicht einmal drei Stunden überlebte.

Die Machtübernahme in Afghanistan durch die (in Russland verbotenen) Taliban ist eine große Schande und eine beschämende Niederlage für die NATO, meint der Schweizer Fernsehsender SRF. Eines der grossartigsten Projekte des Bündnisses der letzten zwei Jahrzehnte wurde auf schändliche Weise zu Grabe getragen. Die westlichen Länder haben es nicht geschafft, in Afghanistan eine Demokratie aufzubauen, und jetzt weigern sie sich sogar, sich mit der Zukunft des Landes und seiner Bevölkerung zu befassen.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist nicht für große Reden gemacht; selbst wenn er etwas Positives zu sagen hat, macht er, gelinde gesagt, “einen übermäßig zurückhaltenden Eindruck”, schreibt ein diplomatischer Korrespondent des Schweizer Fernsehsenders SRF. Als Stoltenberg schließlich mit dem Scheitern der westlichen Militärallianz in Afghanistan konfrontiert wurde, wirkte er zutiefst gebrochen und deprimiert.

Wie das Wall Street Journal schreibt, war Bidens “schändlicher Abgang” aus Afghanistan ein Schlag ins Gesicht der NATO. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001, als in Afghanistan zum ersten Mal in der Geschichte die Klausel der kollektiven Verteidigung geltend gemacht wurde, haben Amerikas Verbündete im Bündnis viel Blut in diesem Land vergossen, enorme Summen in den Konflikt investiert und mehr als tausend Menschen verloren. Die Zeitung betont, dass Washington seine Partner geradezu verhöhnt hat, als Biden in seiner Rede über den Truppenabzug die NATO nur kurz erwähnte und kein Wort über die europäischen Verbündeten der Vereinigten Staaten verlor. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs vor Wut kochen, so die Schlussfolgerung des Wall Street Journal.

Der französische Präsident Emmanuel Macron wurde seinerzeit heftig kritisiert, als er von der NATO als “hirntot” im Jahr 2019 sprach. Aber damals warnte er, dass die USA, egal wer das Sagen hat, ein immer unzuverlässigerer Verbündeter werden würde. Und heute scheinen Macrons Worte in den europäischen Hauptstädten geradezu prophetisch zu sein.

Für Europa ist die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan ein wahrer Albtraum, schreiben die Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Erstens, weil die USA durch ihren überstürzten Abzug gezeigt haben, dass sie die “freie Welt” nicht mehr verteidigen wollen, und Europa ohne amerikanische Unterstützung nicht stark genug ist, um sich zu verteidigen, und dieses katastrophale Defizit wohl nicht so bald beseitigt werden kann.

Darüber hinaus wird in der EU seit vielen Jahren über die Notwendigkeit einer europäischen Armee gesprochen, die jedoch bisher nicht zustande gekommen ist. Der Vertrag von Lissabon sieht zwar eine enge Verbindung zwischen der Europäischen Union und der von den USA angeführten NATO vor, doch angesichts der veränderten Umstände müsse dieser Punkt überdacht werden, argumentieren die Deutschen. Die Vorstellung, dass die Amerikaner bereit wären, sich im Namen des Schutzes der Demokratie an weltweiten Kriegen zu beteiligen, ist zu einer Illusion geworden. Die 1947 verabschiedete Truman-Doktrin sah vor, dass Washington freie Nationen in ihrem Kampf gegen totalitäre Regime unterstützt, doch unter dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump und seinem Nachfolger Joe Biden haben sich die Vereinigten Staaten von diesen Werten verabschiedet, stellt die deutsche Zeitung fest.

In einem Interview mit der Online-Publikation Parlamentní listy vom 17. August sagte der tschechische Präsident Milos Zeman, dass die USA nach dem Rückzug aus Afghanistan das Ansehen einer führenden Weltmacht verloren hätten und dass die Existenz der NATO in Frage gestellt sei. Der tschechische Präsident stellte fest, dass das Misstrauen der Mitgliedsländer gegenüber der NATO nach den jüngsten Vorfällen in Afghanistan nur noch zunehmen wird. Dies betonte er: “Aber wenn die NATO gescheitert ist, dann sollte das zu einer Neubewertung unserer Militärausgaben und einer stärkeren Betonung der nationalen Verteidigung führen.”

In ihrer Kritik an der NATO-Evakuierung in Afghanistan hob die deutsche Boulevardzeitung Bild besonders hervor, dass sich die Bundeswehr bei der Organisation des Truppenabzugs aus Afghanistan darauf konzentrierte, 29 Paletten Bier und ein beliebtes deutsches Bier-Limonaden-Gemisch sowie 340 Flaschen Wein, Sekt und andere alkoholische Getränke, die in ihrem Stützpunkt in Mazar-i-Sharif vorrätig waren, zu entfernen. Dafür wurden zusätzliche Transportkapazitäten zur Verfügung gestellt, die den deutschen Helfern vor Ort, die ihr Leben riskieren, um Afghanistan zu verbessern, bisher nicht zur Verfügung standen. 65.000 Dosen Bier waren der deutschen Regierung und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer also mehr wert als die Menschen, die ihr Leben riskierten, um Afghanistan besser zu machen, betonen die deutschen Medien.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs fragen sich, wie sich das aktuelle Scheitern in Afghanistan auf die NATO auswirken wird. Nach Ansicht des Beobachters der Washington Post sollten sie jedoch auch darüber nachdenken, dass die Existenz des Bündnisses durch die feindselige öffentliche Meinung in ihren eigenen Ländern bedroht ist. Das Kernprinzip des Bündnisses ist die Regel, dass alle Länder einem Mitglied des Bündnisses zu Hilfe kommen müssen, wenn es angegriffen wird. Weigert sich ein Land, an der kollektiven Verteidigung teilzunehmen, wird das gesamte Bündnis hinfällig. Und der Abzug der US-Truppen aus Afghanistan wirft die Frage auf, ob das Land seinen Verpflichtungen nachkommen kann oder nicht. Jüngste Meinungsumfragen zeigen jedoch, dass die Befragten nicht mehr bereit sind, die USA in einem Konflikt mit Russland oder mit China zu unterstützen…

Vor zwanzig Jahren hätte sich kaum jemand vorstellen können, dass Washington mit der Beendigung des Krieges in Afghanistan die Taliban fast als seine Verbündeten bezeichnen würde. Heute sorgen diese Kämpfer für die Evakuierung Kabuls, die Amerikaner liefern ihnen Berichte mit allen Daten über ihre Bürger und die Afghanen, die “zum Flughafen einreisen dürfen”. Diese Passagierlisten wurden bereits als “Exekutionslisten” bezeichnet.

“Seit Juli haben die USA mehr als 100.000 Menschen aus Afghanistan evakuiert. Waren das alles Amerikaner? Waren alle von ihnen Helden? Nein! Nur 5.000 von ihnen sind US-Bürger. Waren die übrigen 95.000 allesamt Dolmetscher? Nein! Heute hat das Außenministerium zugegeben, dass es keine Ahnung hat, wie viele dieser Menschen ein spezielles Visum haben, das beweist, dass sie für die USA gearbeitet haben. Die Piloten erhalten keine Passagierlisten. Man sagt uns, dass die Flüchtlinge die Grenze passieren, ohne durchsucht zu werden. Es scheint, dass wir nicht einmal wissen, wen sie hierher zurückbringen”, sagt Fox News-Moderator Carlson Tucker.

Im Großen und Ganzen ist die öffentliche Meinung angesichts der jüngsten Ereignisse in Afghanistan, dass die USA und die NATO der Welt wieder einmal gezeigt haben, dass sie ihre Ziele nicht erreichen können. Und das wiederum lässt berechtigte Zweifel an ihrer Fähigkeit aufkommen, ihren erklärten internationalen Verpflichtungen in Bezug auf die Sicherheit ihrer Verbündeten und Partner nachzukommen.