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Fabrice Coffrini/AFP via Getty Images

Der Niedergang und Fall von Davos Man

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine war ein großes Thema auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum in Davos, wo sich einst die führenden Politiker und Wirtschaftsvertreter versammelten, um die Globalisierung zu feiern und noch mehr von ihr zu fordern. Jetzt ist die Welt in eine neue Phase der Geschichte eingetreten, in der die Geopolitik im Vordergrund steht…

Der „Davos Man“ hat eine düstere 14-jährige Geschichte hinter sich. Der verstorbene Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington von der Harvard University machte den Begriff 2004 populär, um eine neue Überklasse von Globalisierungsbefürwortern zu beschreiben. Er behauptete, der Davos Man wolle, dass die nationalen Grenzen verschwinden und die Logik der Politik durch die des Marktes ersetzt wird.

Doch seit der globalen Finanzkrise von 2008 hat die Politik zunehmend die Wirtschaft übertrumpft, ein Trend, der 2016 mit der Wahl Donald Trumps in den Vereinigten Staaten und dem Brexit-Referendum seinen Höhepunkt erreichte. Beide Ereignisse stellten eine Gegenreaktion auf die Vision des Davos Man von einer reibungslosen Welt dar, die so effizient wie möglich durch „Multi-Stakeholder-Prozesse“ regiert (nicht geführt) wird.

Darüber hinaus sahen sich die Teilnehmer des diesjährigen Jahrestreffens in Davos mit einer noch größeren Herausforderung als der nationalen Politik konfrontiert: der Rückkehr der Geopolitik. Das Thema des Weltwirtschaftsforums lautete „Geschichte am Wendepunkt“, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass wir das „Ende der Geschichte“ erreicht haben. Obwohl der Ethos des WEF darin besteht, die Zusammenarbeit im Streben nach einer „einen Welt“ zu fördern, konzentriert sich die neue Agenda zwangsläufig auf Konflikte und Spaltung.

Der Angriffskrieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin gegen die Ukraine spielte auf dem diesjährigen Treffen offensichtlich eine große Rolle. Zur Eröffnung der Veranstaltung sprach der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskij – der praktisch in seiner inzwischen vertrauten Militäruniform erschien – von einer Welt, die entlang der Bruchlinien der Grundwerte gespalten sei. Und das Russia House, in dem russische Delegationen in den vergangenen Jahren Partys und Networking-Veranstaltungen abhielten, wurde von ukrainischen Aktivisten und Spendern in das Russian War Crimes House umgewandelt, in dem eine Ausstellung auf die russischen Gräueltaten in der Ukraine aufmerksam machte.

Bei der Durchsicht des diesjährigen Programms wurde schnell klar, dass kein einziger Aspekt der Globalisierung von den Auswirkungen der neuen geopolitischen Konflikte verschont geblieben ist – zwischen Russland und dem Westen, China und dem Westen, China und seinen Nachbarn und so weiter. Anstelle von Podiumsdiskussionen über Freihandelsabkommen gab es mehrere Sitzungen zur wirtschaftlichen Kriegsführung.

Führende Vertreter aus Politik und Wirtschaft setzten sich mit der Tatsache auseinander, dass wir heute in einer Welt leben, in der die Reserven der Zentralbanken beschlagnahmt, Geschäftsbanken kurzerhand vom internationalen Zahlungssystem SWIFT abgetrennt und Privatvermögen beschlagnahmt werden können, um den Wiederaufbau eines Landes zu finanzieren.

Die Sitzungen zum Klimawandel gingen über die Dekarbonisierungsziele des Pariser Klimaabkommens hinaus und konzentrierten sich auf die Zusammenhänge zwischen dem Krieg in der Ukraine, der aktuellen globalen Energiekrise, der Nahrungsmittelknappheit und der Inflation. So diskutierte der deutsche Vizekanzler Robert Habeck mit dem indischen Erdöl- und Gasminister und dem Vorstandsvorsitzenden eines Ölunternehmens darüber, ob Europa und Indien ihre Nutzung von russischem Öl und Gas beenden können, ohne ihre wirtschaftlichen Ziele aufzugeben.

Ein Panel zum Thema Migration befasste sich nicht – wie in den Vorjahren – mit der Frage der Qualifizierung, sondern mit der Bewaffnung von Flüchtlingen. Wie ein ukrainischer Abgeordneter warnte, strebt Putin danach, „die Migration in einen ‚hybriden Krieg 2.0‘ zu verwandeln, in der Hoffnung, dass die Vertreibung von Millionen Ukrainern aus ihrer Heimat zum Zusammenbruch Europas führen könnte.“

Auf einer Podiumsdiskussion über die Zukunft der Technologie erörterte ein hochrangiger japanischer Politiker, wie die Geopolitik das Verhältnis zwischen Markt und Staat verändert. Früher wurden Innovationen wie das Internet zunächst vom Staat entwickelt und dann von privaten Unternehmen aufgegriffen. Heute jedoch werden künstliche Intelligenz, Quantencomputer, Drohnen und andere Technologien von der Privatwirtschaft entwickelt und dann vom Staat als Waffe eingesetzt. Ausfuhrkontrollen und Beschränkungen des Technologietransfers sind daher zu einem wesentlichen Bestandteil der nationalen Sicherheit geworden.

Am besorgniserregendsten waren jedoch die Sitzungen, in denen es um die Angst vor einem neuen Kalten Krieg ging, der das Ende der globalisierten Welt bedeuten würde. Viele Staats- und Regierungschefs außerhalb Europas und Nordamerikas sympathisierten mit der Ukraine, weigerten sich jedoch, den Krieg als globalen Wertekonflikt zu betrachten. Sie befürchteten, dass Putins Aggression und die gegen Russland ergriffenen Gegenmaßnahmen die Fragmentierung einer bereits geteilten Welt durch steigende Energiepreise, Massenhunger und die Politisierung der Märkte beschleunigen würden.

Außerdem glaubten sie nicht an die von der Regierung Biden stark propagierte Vorstellung, dass wir uns in einem Kampf zwischen Demokratie und Autokratie befinden. Sie befürchteten, dass eine solche Sichtweise zu einer noch tieferen Spaltung der Welt entlang ideologischer Linien führen würde. Vertreter aus dem Nahen Osten, Afrika und Asien äußerten wiederholt die Befürchtung, sich zwischen China und Amerika entscheiden zu müssen, und bezeichneten diese Aussicht als eine „existenzielle Bedrohung“.

Das diesjährige Treffen in Davos war nicht mehr mit der Konferenz zu vergleichen, an der ich vor 15 Jahren teilnahm. Heute ist klar, dass sich der Davos-Mann nicht für Geopolitik interessierte, die Geopolitik aber sehr wohl für ihn. Die Bewaffnung der Interdependenz hat jeden Aspekt seines Lebens umgestaltet. Die geopolitische Übernahme der Globalisierung ist fast abgeschlossen, und ihre Vorrangstellung wird mit Sicherheit den Krieg in der Ukraine überdauern.