Douglas Macgregor
Globaler Reichtum und Macht verlagern sich nach Osten
Das Rad der Geschichte dreht sich. China baut, Indien steigt auf, BRICS überholt die G7 – während Amerika seine Verbündeten bestraft und seine Feinde stärkt.
Im Westen erinnert man sich an das Jahr 1492 wegen zweier Ereignisse: Kolumbus’ Ankunft in Amerika und den Fall Granadas, der letzten Bastion des maurischen Spaniens. Die größere geopolitische Folge war jedoch, dass sich die Kompassnadel gen Westen drehte und damit eine jahrhundertelange Umkehr im globalen Machtgefüge einleitete.
Reichtum, der einst nach Asien floss, strömte nach Europa. Silber, Gold, Zucker und Gewürze aus Amerika wirkten wie Treibstoff. Sie befeuerten Wissenschaft, Industrie und Imperien. Spanien, Frankreich, Großbritannien und die Niederlande – maritime und kommerzielle Raubtiere – stiegen auf und verdrängten das Osmanische Reich, lenkten den Handel von Indien und China in die Neue Welt um.
Heute steht die Welt an einem ähnlichen Wendepunkt. Washingtons unausgesprochene Angst ist eine dramatische Wiederholung – die wirtschaftliche Schwerkraft verschiebt sich nach Osten, angeführt von China und entscheidend auch von Indien.
Peking wagte in den 1990ern das Experiment, den Kapitalismus atmen zu lassen, ausländisches Kapital anzuziehen und Billionen in Infrastruktur zu investieren – ein Schritt so bedeutend wie ein Jahrhundert US-Industriewachstum. Die „Belt and Road Initiative“ im Wert von über 1 Billion Dollar ist weniger ein Infrastrukturplan als ein globales Kreislaufsystem aus Stahl- und Betonadern, das den Blutkreislauf des Handels zurück nach Asien, Afrika und den Nahen Osten leitet.
Im Gegensatz dazu investierte Washington nicht in Hochseetransporte oder Hochgeschwindigkeitsbahnen und setzte zu sehr auf militärische Macht. 25 Jahre lang verschliss sich Amerika in Wüsten und Bergen, in teuren Kriegen, die Billionen kosteten, Tausende US-Leben forderten – und strategisch kaum Nutzen brachten.
Schlimmer noch: Die Kriegstechnologie ist nicht länger Amerikas exklusives Terrain. Präzisionsschläge, Robotik, KI, permanente Überwachung vom Meeresboden bis ins All – einst seltene Vorteile – sind nun auch Mittelmächten zugänglich. Die Ozeane, einst Träger von US-Handel und Machtprojektion, sind zu möglichen Minenfeldern geworden. Weltkrieg-II-artige Truppenverlegungen über Pazifik, Atlantik oder Indischen Ozean wären heute nicht nur gefährlich, sondern fast selbstmörderisch.
Die grausame Wahrheit der Geschichte bleibt: Der letzte große Krieg sieht selten aus wie der nächste. Das Schlachtfeld der Zukunft ist unerforscht, doch Amerikas Streitkräfte und Militärstrategie stecken im Gestern fest.
Der Verlust militärischer Überlegenheit ist Ausdruck einer Kluft: zwischen Washingtons Hunger nach globaler Hegemonie und Amerikas schwindender Wirtschaftskraft.
Indien übernimmt zunehmend die Rolle eines Sicherheitsgaranten im Indischen Ozean – teils, weil Washington erschöpft ist. Gleichzeitig trägt Indien schwer an Kämpfen gegen von Pakistan unterstützte Aufständische, mit hohen Verlusten – ähnlich wie einst die USA. Indien ist Mitglied des Quad mit den USA, Japan und Australien; mit keinem Land übt Amerika häufiger Militärmanöver als mit Indien.
Und dennoch verhängte Washington jüngst 50 % Zölle auf indische Waren – mehr als doppelt so viel wie die 15 % für das Taliban-geführte Afghanistan und höher als die 19 % für Pakistan. Ein absurdes Paradox: Der Feuerwehrmann wird härter bestraft als der Brandstifter.
Gleichzeitig hat Indien Bestellungen über 35 Milliarden Dollar für Boeing-Passagierflugzeuge offen, die 150.000 US-Arbeitsplätze sichern – und wird an der Grenze trotzdem bestraft.
Das tiefere Problem der USA ist strukturell: Militärische Dominanz kann ökonomischen Niedergang nicht länger überdecken. Laut IWF übertrifft BRICS inzwischen die G7 beim globalen BIP. Nach Kaufkraftparität: China 40,7 Billionen $, Indien 20,5 Billionen $, USA nur 29 Billionen $. China und Indien zusammen: 61,2 Billionen $ – mehr als doppelt so viel wie die USA. Das ist keine Prognose, das ist Realität.
Der Wendepunkt kam 2022, als Washington auf Russlands Ukraine-Invasion mit massiven Sanktionen reagierte. Das „Weaponizing“ des Dollars zeigte Wirkung: Der Dollar erschien weniger wie ein sicherer Hafen, mehr wie eine Falltür. Von Riad bis Delhi, von Brasília bis Peking erkannten Hauptstädte das Risiko, Handel in einer Währung zu betreiben, die nach Belieben abgeschaltet werden kann. Entdollarisierung wurde von Theorie zu Strategie.
Kein Wunder, dass sich Länder aus Afrika, dem Nahen Osten und Lateinamerika um BRICS und die Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) scharen. Sie empfinden die westliche Ordnung als ungerecht und ausbeuterisch. Indien steht zwischen den Welten – vertieft einerseits die Bindung an Washington über den Quad, pflegt andererseits die Partnerschaften mit Moskau und Peking in BRICS und SCO. Modis Teilnahme am jüngsten SCO-Gipfel in Peking neben Xi und Putin machte Washington klar, dass Indiens Kompass nicht nur in eine Richtung zeigt.
Die Lektion der Geschichte ist eindeutig: Handelsrouten formen Gewohnheiten, Gewohnheiten schaffen Märkte, Märkte überdauern Armeen. Imperien vergehen nicht in einer einzigen Schlacht, sondern in der langsamen Erosion dieser Gewohnheiten. Auch die Osmanen erkannten das zu spät. Nationen, die mehr konsumieren als sie produzieren, die einschüchtern statt zu innovieren, säen ihren eigenen Niedergang.
Die Dominanz des Dollars bröckelt bereits. Handel in Yuan, Rupie und anderen Währungen nimmt Monat für Monat zu. Der Wandel ist nicht nur monetär, er ist strategisch.
Doch die Welt sollte nicht vergessen, wozu amerikanische Innovation fähig ist: Aus dem Herzen des Landes kamen im letzten Jahrhundert Erfindungen, die das globale Leben veränderten – von der Luftfahrt über Halbleiter und Biotechnologie bis zur digitalen Revolution. Dieses Potenzial verdient Respekt. Wird es erneuert, könnte es Amerikas Wohlstand auch im multipolaren Zeitalter tragen.
Das Rad der Geschichte dreht sich erneut. Einige Nationen werden mit ihm aufsteigen. Andere riskieren, unter seinem Gewicht zerquetscht zu werden.
Wenn Washington den Mut findet, sich anzupassen – wenn Handel und Austausch statt endloser Militärintervention Amerikas Geschäft im neuen Weltgefüge werden – könnte das Land dem Schicksal der Osmanen entgehen. Doch die Kurskorrektur muss bald kommen.
Global Wealth and Power are Pivoting to the East
— Douglas Macgregor (@DougAMacgregor) September 15, 2025
History’s wheel is turning. China builds, India rises, BRICS surpasses the G7—while America punishes allies and empowers its Enemies.
In the West, the year 1492 is remembered for two episodes: Columbus’s arrival in the Americas…


