Große Schritte in Richtung digitaler Ausweis.
Aus einem durchgesickerten Dokument des Rates der Europäischen Union geht hervor, dass der gesetzgebende Arm der Union ab dem 28. September eine Massenüberwachung aller privaten Nachrichten und eine obligatorische Altersüberprüfung einführen will.
Damit will die spanische Ratspräsidentschaft den umstrittenen Gesetzesvorschlag, der von Kritikern mitunter als „Chat-Kontrolle“ bezeichnet wird, zügig in Kraft setzen. Bereits am Donnerstag sollen sich die Botschafter der Mitgliedstaaten treffen, um die notwendige Mehrheit für die Verabschiedung des Entwurfs zu finden.
Der deutsche Europaabgeordnete Patrick Breyer, der zu den lautesten Kritikern des Gesetzesentwurfs gehört und auch an den Verhandlungen im Parlament beteiligt ist, reagierte auf die Nachricht mit der Warnung, der Vorschlag sei nichts anderes als eine „Nebelkerze“, wenn es um die Frage der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung gehe.
Laut Breyer, der Anwalt ist und die Piratenpartei vertritt, müssten viele Messaging-Plattformen, von WhatsApp bis Signal, eine clientseitige Überprüfung durchführen, was seiner Meinung nach bedeute, dass die Telefone der Menschen zu „fehleranfälligen Scannern“ würden.
Trotz der „Lippenbekenntnisse“ zur Verschlüsselung glaubt Breyer, dass das künftige Gesetz das Ende der sicheren Verschlüsselung und damit der privaten Kommunikation bedeuten könnte, zusätzlich zu dem, was er als „ineffektive Netzsperren und Suchmaschinenzensur“ bezeichnet.
Angesichts der Tatsache, dass eine der Bestimmungen des Gesetzesentwurfs das Scannen von Cloud-Speichern nach missbräuchlichem Material vorsieht – dessen effektivere Bekämpfung das erklärte Hauptziel der EU hinter dem Vorschlag ist – wäre die Folge eine massenhafte Überwachung privater Fotos, ist Breyer überzeugt.
Was der Gesetzesentwurf versäumt, und was seiner Meinung nach der richtige Weg wäre, um das Problem anzugehen, ist, die Strafverfolgungsbehörden dazu zu bringen, ihre Arbeit zu verbessern, indem sie derartiges Material melden, und EU-weite Standards für die Prävention, die Unterstützung und Beratung von Opfern und „effektive strafrechtliche Ermittlungen“ festzulegen.
In der Altersverifikation, die für Kommunikationsdienste verpflichtend werden soll, sieht der Abgeordnete eine weitere Möglichkeit, anonyme Kommunikation abzuschaffen.
„Ein Überwachungsstaat nach chinesischem Vorbild“, fasst Breyer die Auswirkungen des kommenden Gesetzes zusammen, dessen Kern er als „Big-Brother-Angriff auf unsere Handys, privaten Nachrichten und Fotos mit Hilfe fehleranfälliger Algorithmen“ bezeichnet.
„Die Chat-Kontrolle ist wie das Öffnen und Scannen aller Briefe bei der Post – unwirksam und illegal. Selbst die intimsten Nacktfotos und Sex-Chats können plötzlich bei Firmenmitarbeitern oder der Polizei landen“, so der Abgeordnete in einer Pressemitteilung und schließt: „Wir alle sind auf die Sicherheit und Vertraulichkeit privater Kommunikation angewiesen: Menschen in Not, Missbrauchsopfer, Kinder, die Wirtschaft und auch staatliche Behörden“.