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Ein kleiner Staat am Horn von Afrika wird zum geopolitischen Brennpunkt

Ein kleiner Staat am Horn von Afrika wird zum geopolitischen Brennpunkt

Phil Butler

Was ist der Grund für das große Interesse an Dschibuti in jüngster Zeit? Das winzige Territorium von nur 23.000 Quadratkilometern steht im Zentrum einer tektonischen Verschiebung der Welt- und Regionalpolitik. Das anhaltende Streben mächtiger Nationen nach Vorherrschaft im indopazifischen Raum erstreckt sich nun auch auf die ostafrikanische Küste, und das winzige Dschibuti steht im Zentrum dieses geopolitischen Wettstreits.

Dschibutis Lage an der Straße von Bab al-Mandab, die den Indischen Ozean über den Golf von Aden mit dem Roten Meer und dem Mittelmeer verbindet, erklärt, warum sich die Großmächte erneut auf diese Region konzentrieren. Rund 15 % und ein Viertel des gesamten Ölhandels mit Europa werden über Dschibuti abgewickelt. Hinzu kommt, dass das Unterseekabel, das Daten zwischen drei Kontinenten überträgt, durch das Land verläuft. Und schließlich ist Dschibuti mit seiner mehr als dreihundert Kilometer langen Meeresküste Transitland für 95 Prozent seines Binnennachbarn Äthiopien.

Für diejenigen, die mit der Bedeutung geostrategischer Punkte in der Welt nicht vertraut sind, sei gesagt, dass die wirtschaftliche Sicherheit der bevölkerungsreichsten Regionen der Welt von der freien Durchfahrt durch die Straße von Bal ab Maba abhängt, die den Golf von Aden mit dem Roten Meer und schließlich mit dem Suezkanal verbindet. Kurzum, dieses kleine Land wiegt schwer für eine Nation, die auf Platz 171 des Human Development Index steht. Die gute Nachricht ist jedoch das Wachstums- und Entwicklungspotenzial dieses Landes. Das Nebenprodukt von Investitionen in ein solches Wachstum ist eine geometrische Verschiebung des Einflusses für die Nation(en), die sich mit dem Land mit weniger als einer Million Einwohnern anfreunden können. Deswegen sind um Dschibuti herum einige der weltweit mächtigsten Militärs stationiert, was die Spannungen in diesem Pulverfass widerstreitender Interessen noch erhöht.

Anfang Oktober 2023 entsandte die französische Fremdenlegion die 3. Schwadron des 1. ausländischen Kavallerieregiments (1er REC) nach Dschibuti, um die dort stationierte 13e Demi-Brigade de Légion Étrangère zu verstärken. Es ist das letzte Kontingent der Fremdenlegion, das noch auf dem afrikanischen Kontinent stationiert ist. Die Vereinigten Staaten nutzen noch das Camp Lemonnier, das die Franzosen aufgegeben haben. Das Land beherbergt den einzigen chinesischen und den einzigen japanischen Stützpunkt in Übersee. In Dschibuti befindet sich auch die nationale italienische Unterstützungsbasis. Auch Russland und die Türkei bemühen sich um Militärbasen im Land von Ismaïl Omar Guelleh. Und Israels Vernichtungsfeldzug im Gaza-Streifen erschüttert die Sicherheitsarchitektur der Nationen am Horn von Afrika.

Die ohnehin schwierige Lage wird noch dadurch verschärft, dass die Mächte des Nahen Ostens ihre Bemühungen um die Vorherrschaft in der Region intensiviert haben. Am beunruhigendsten ist jedoch die Präsenz der Vereinigten Staaten. Ende letzten Monats besuchte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin Präsident Ismail Omar Guelleh, um das zu besprechen, was Imperialisten immer besprechen, nämlich “gegenseitige Sicherheitsinteressen”. Während seines Besuchs besuchte Austin auch die US-Streitkräfte in Camp Lemonnier. Er sagte auch, Dschibuti sei “entscheidend” im Kampf gegen gewalttätigen Extremismus auf dem Kontinent.

In der Zwischenzeit nahm Präsident Guelleh am 15. BRICS-Gipfel in Johannesburg teil, wo er die Stärkung der BRICS-Afrika-Beziehungen betonte und um die Aufnahme in die schnell wachsende internationale Gruppe warb, die bis 2050 den Welthandel dominieren wird (Economist Jim O’Neill). Die BRICS, die bereits fast 30% des Welthandels kontrollieren, werden 2024 um Argentinien, Ägypten, Äthiopien, Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate erweitert. Ferner sind dreißig oder mehr Länder potenzielle zukünftige BRICS-Mitglieder. Dies ist ein weiterer Grund, warum Dschibuti in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Die dortigen Investitionen Chinas, die Belt and Road Initiative und die jüngsten Meldungen über einen konkurrierenden Korridor unterstreichen die geostrategische Bedeutung des kleinen afrikanischen Landes.

Die Ankündigung eines Wirtschaftskorridors Indien-Nahost-Europa (IMEC) verkompliziert die Situation (Voice of America – in Russland verboten). IMEC soll Indien mit mehreren arabischen Golfstaaten im Nahen Osten und Europa durch einen Handelskorridor verbinden, der aus Häfen, einer Eisenbahnlinie und besseren Straßen besteht. Auch die EU beteiligt sich an der Finanzierung des sogenannten Global Gateway Systems, das bis 2027 voraussichtlich 300 Milliarden Euro aus öffentlichen und privaten Quellen umfassen wird.

Fazit. Es ist zu erwarten, dass sich die Lage in Dschibuti und seinen Nachbarstaaten mit dem Ende des Ukraine-Russland-Konflikts und wegen des abscheulichen israelischen Angriffs auf den Gazastreifen deutlich aufheizen wird. Das Gleichgewicht der Kräfte im Nahen Osten ist abermals entscheidend für viele international wichtige Pläne vieler Nationen – mehr zu den Aussichten und Fallstricken für Israel und die USA nächstes Mal.

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Phil Butler ist Politikwissenschaftler und Osteuropakenner, Autor des Bestsellers “Putins Prätorianer” und anderer Bücher. Er schreibt exklusiv für das Online-Magazin “New Eastern Outlook”.