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Fakt oder Fiktion: Macht Israel wirklich Jagd auf „Hamas-Kämpfer“?

Fakt oder Fiktion: Macht Israel wirklich Jagd auf “Hamas-Kämpfer”?

Oder erniedrigt es nur palästinensische Männer und Jungen aus der Zivilbevölkerung und sendet sie in die Welt, um sie zu entmenschlichen?

In den vergangenen Tagen kursierten in den sozialen Medien Fotos und Videos von palästinensischen Männern und Jungen, die von der israelischen Armee entkleidet, aufgereiht und in Lastwagen abtransportiert wurden.

Israel behauptet, es handele sich um mutmaßliche Hamas-Kämpfer, die es im nördlichen Gazastreifen festgenommen habe. Es veröffentlichte sogar Fotos und ein Video eines Palästinensers in Unterwäsche, der an einer Gruppe entkleideter Männer und Jungen vorbeigeht, ihre Ausweise in der Hand hält und ein Gewehr am Straßenrand ablegt, als “Beweis” dafür, dass es sich tatsächlich um “Kämpfer” handelt.

Ein genauerer Blick auf dieses Video zeigt jedoch, dass es inszeniert ist. Es ergibt keinen Sinn, dass die israelischen Soldaten, nachdem sie einen bewaffneten Kämpfer entdeckt haben, warten, bis sich alle entkleidet und aufgereiht haben, sich für die Videoaufnahme vorbereiten und dann die Person über Lautsprecher mit den Worten “Habibi” (arabisch für “mein Lieber”) auffordern, die Waffe fallen zu lassen.

Aus Medienberichten ging später hervor, dass die israelische Armee die palästinensischen Männer und Jungen gewaltsam entführt hatte, nachdem sie sie von ihren Familien in von den Vereinten Nationen betriebenen Schulen, die als Unterkünfte für Vertriebene im nördlichen Gazastreifen dienen, getrennt hatte. Einige der Männer wurden als UN-Mitarbeiter, Mitarbeiter von Hilfsorganisationen und mindestens ein Journalist identifiziert. Der Mann, der die Waffe hielt, war vermutlich ein Ladenbesitzer.

Während der Video-Stunt mit der Waffe ein weiterer verzweifelter Versuch der israelischen Armee sein könnte, ihre Verbrechen vor der westlichen Öffentlichkeit zu vertuschen, dient die Veröffentlichung der Bilder und des Filmmaterials, das die Erniedrigung palästinensischer Männer und Jungen zeigt, einem anderen Zweck.

Sie soll die Palästinenser demoralisieren und gleichzeitig die Moral der israelischen Öffentlichkeit stärken. Dies ist ein klarer Ausdruck der Ideologie der Besatzung, die die Palästinenser als ein Volk betrachtet, das unterworfen und beherrscht, wenn nicht gar gnadenlos getötet werden muss.

Misshandlung von Palästinensern zur “Stärkung der israelischen Moral

Die Veröffentlichung dieser Bilder und Aufnahmen erfolgt vor dem Hintergrund einer wachsenden Zahl von Berichten, wonach die israelische Armee in den von ihr kontrollierten Gebieten des Gazastreifens palästinensische Jungen und Männer systematisch von ihren Familien trennt und an unbekannte Orte verschleppt.

Diejenigen, die freigelassen wurden, berichteten von Folter und Schlägen durch israelische Soldaten. Das Schicksal vieler ist noch unbekannt, aber angesichts des Todes von mindestens sechs palästinensischen Gefangenen und Berichten über weitverbreitete Folter und andere Misshandlungen ist es sehr wahrscheinlich, dass auch sie misshandelt werden.

Die in den sozialen Medien kursierenden Videos und Bilder haben Journalisten und Aktivisten geholfen, einige der Gefangenen zu identifizieren und die israelischen Behauptungen zu widerlegen, es handele sich um Hamas-Kämpfer.

Hani Almadhoun, ein Mitarbeiter einer in den USA ansässigen Wohltätigkeitsorganisation, die Spenden für das UNRWA sammelt, sagte, er habe seinen Bruder Mahmoud, einen Ladenbesitzer, sowie seinen 27-jährigen Neffen Abood unter den Verhafteten gesehen. Er sagte dem Guardian, sein Vater und sein 13-jähriger Neffe Omar seien ebenfalls festgenommen worden.

Diaa al-Kahlout, ein Korrespondent von Al-Araby Al-Jadeed (The New Arab), der ebenfalls mit seinen Brüdern abgeführt wurde, wurde von Kollegen auf einem der Videos erkannt. Die Zeitung berichtete, dass israelische Soldaten sie in ihren Häusern festhielten und ihre Frauen und Kinder vertrieben, bevor sie die Häuser in Brand steckten.

Die Veröffentlichung dieser entwürdigenden Bilder stellt einen Verstoß gegen die Genfer Konvention dar, die “grausame Behandlung und Folter” sowie “Verletzungen der persönlichen Würde, insbesondere erniedrigende und entwürdigende Behandlung” verbietet.

Die Bilder und Videos lösten weltweit Empörung aus und führten zu Vergleichen des israelischen Vorgehens mit dem US-amerikanischen “Rendition”-Programm und den Folterungen in den “Black Sites”, dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib und dem Gefangenenlager Guantanamo sowie den genozidalen Praktiken der serbischen Milizen im Bosnienkrieg.

Selbst israelische Insider sind vor diesem Verhalten zurückgeschreckt. Der pensionierte israelische Brigadegeneral Shlomo Brom erklärte gegenüber NPR, die Bilder hätten nicht veröffentlicht werden dürfen, weil sie erniedrigend seien.

Wenn diese Bilder und Aufnahmen also ein weiteres Verbrechen der israelischen Armee im Gazastreifen zeigen, warum wurden sie dann veröffentlicht?

Brom zufolge sollte die Moral in Israel gestärkt und ein “psychologischer Krieg gegen die Hamas” geführt werden.

Systematische Demütigung

Diese systematische Demütigung ist im Kontext des israelisch-palästinensischen Konflikts nichts Neues. Wie der palästinensische Wissenschaftler Ramzy Baroud argumentierte, ist die Demütigung der Palästinenser die eigentliche israelische Politik”. Die Haaretz-Korrespondentin Amira Hass bezeichnete die Demütigung palästinensischer Gefangener in israelischen Gefängnissen als “Routinetaktik”.

Während die tägliche Erniedrigung der Palästinenser vom Rest der Welt unbemerkt geblieben sein mag, wurde die erniedrigende Behandlung von palästinensischen Männern und Jungen, die zusammengetrieben wurden, weltweit beobachtet. Die digitale Technologie hat dazu beigetragen, dass diese Demütigungen viral gingen.

Andere Videos, die seit dem 7. Oktober im Internet aufgetaucht sind, zeigen israelische Soldaten, die in palästinensische Häuser, in die sie eingedrungen sind, defäkieren, Spielzeug in einem palästinensischen Geschäft zerschlagen und darüber lachen und palästinensische Gefangene misshandeln.

Durch die Veröffentlichung der Misshandlungen palästinensischer Männer und Jungen wird deren Erniedrigung noch verstärkt. Der Akt der Verhaftung ist etwas anderes als die Veröffentlichung von Bildern, die eine erniedrigende Behandlung zeigen. Durch die Verbreitung dieser Bilder bleibt die Erniedrigung nicht auf den Moment oder die unmittelbar Beteiligten beschränkt. Vielmehr wird sie zu einer öffentlichen Zurschaustellung, die potenziell von Millionen von Menschen gesehen wird.

Die Erkenntnisse der amerikanischen Wissenschaftlerin Susan Sontag über die Rolle der Fotografie bei der Objektivierung menschlichen Leidens sind hier besonders relevant. Sie schreibt: “Fotografien objektivieren: Sie machen ein Ereignis oder eine Person zu etwas, das man besitzen kann”.

Im Zusammenhang mit diesen Ereignissen dienen Fotografien dazu, die Opfer zu objektivieren, sie auf bloße Bilder zu reduzieren, die geteilt und losgelöst von ihrer Menschlichkeit betrachtet werden können. Diese Objektivierung beraubt die Opfer ihrer Individualität und Würde und macht sie zu Symbolen der Erniedrigung.

Sie dient auch als Versuch, die Palästinenser vor der israelischen Öffentlichkeit und dem Rest der Welt weiter zu entmenschlichen und “anders” zu machen. Es ist Teil der weltweiten israelischen Kampagne, das palästinensische Volk als “untermenschlich” darzustellen und seine Massentötungen zu rechtfertigen.

Die Veröffentlichung dieser Fotos und Videos dokumentiert nicht nur einen Akt der Demütigung, sondern ist selbst ein Akt der Demütigung. Sie verstärkt die Auswirkungen der ursprünglichen Misshandlung und verwandelt einen Moment des Leidens in ein öffentliches Spektakel der Erniedrigung, das die psychologischen und emotionalen Wunden der Opfer und ihrer Gemeinschaften vertieft.

Letzten Endes geht es nicht darum, die Hamas zu demütigen, sondern alle Palästinenser zu demütigen und vor einem möglichst großen Publikum zu entmenschlichen.