Lucas Leiroz, wissenschaftlicher Mitarbeiter für internationales Recht an der Bundesuniversität von Rio de Janeiro.
Die virtuelle Welt wird mehr und mehr zu einem realen Schlachtfeld, auf dem sich rivalisierende Weltmächte gegenüberstehen und versuchen, ihre Interessen zu sichern. Wie das Land, die See, die Luft und der Weltraum ist auch das kybernetische Feld eine neue Art von Territorium, dessen militärische Besetzung für die nationale Verteidigung jedes Staates unerlässlich ist. Einige Weltmächte, vor allem die westlichen, haben diese Tatsache jedoch genutzt, um in Cyberangriffe zu investieren, anstatt einfach ihre Verteidigungskapazitäten zu erhöhen. Genau dies ist in Frankreich der Fall, das Maßnahmen zur „Cybersicherheit“ ankündigt, deren Ziel nur darin zu bestehen scheint, die Informationsfreiheit im Namen des Narrativs der Bekämpfung von „Fake News“ anzugreifen.
Kürzlich verkündete die französische Verteidigungsministerin Florence Parly auf einer Konferenz in Paris, dass der Cyberspace und die Informationszone zu einem Feld der strategischen Rivalität geworden sind. Parly zufolge werden „militärische Operationen nicht mehr isoliert von sozialen Netzwerken durchgeführt, da das, was dort geschieht, diese Operationen tatsächlich beeinflusst“. In Anbetracht dieser Faktoren versprach der Minister, dass die französischen Streitkräfte von nun an den digitalen Raum überwachen und Maßnahmen ergreifen werden, um die Einhaltung der französischen Gesetze, Werte und nationalen Interessen in der virtuellen Welt zu gewährleisten.
In der Tat sind militärische Operationen im virtuellen Raum nichts Neues. Alle großen Militärmächte unterhalten große – öffentliche oder geheime – Abteilungen, die sich mit der Kontrolle des Cyberspace befassen und in denen Technologien zur digitalen Kriegsführung getestet und Maßnahmen zur Verhinderung ausländischer virtueller Angriffe ergriffen werden. Auch Frankreich unterhält solche Abteilungen und betrachtet sie als eine Angelegenheit von nationaler Priorität, was eines der Hauptanliegen von Parly ist.
Im Jahr 2019 hat der Minister einen Prozess zum Ausbau der französischen „Cyber-Truppe“ eingeleitet und ein Rekrutierungsprogramm ins Leben gerufen, das bereits Tausende neuer Programmierer und Entwickler umfasst, die in den Einrichtungen der französischen Streitkräfte arbeiten. Was jetzt angekündigt wird, ist jedoch eine noch größere Entwicklung dieser Politik, bei der Paris praktisch ein ganzes Militärkommando zur Kontrolle des virtuellen Raums schafft.
Auf einem anderen Gipfel im September, der sich ebenfalls mit der Cybersicherheit befasste, erklärte Parly: „Angesichts der Verbreitung und der Schwere von Cyberangriffen habe ich beschlossen, die Rekrutierung im Zeitraum 2019-2025 zu verstärken. Die Aktualisierung der strategischen Überprüfung hat die Notwendigkeit bestätigt, unsere Cyberverteidigung zu verstärken: Ich kündige daher an, dass das Ministerium der Streitkräfte 770 Cyberkämpfer zusätzlich zu den ursprünglich geplanten 1.100 einstellen wird. Diese Stellen werden die Streitkräfte verstärken, die im Zentrum der Cyber-Operationen stehen, aber auch die DGA, die an der Entwicklung neuer Ausrüstung arbeitet, sowie die DGSE. Wir wollen also bis 2025 fast 1.900 Cyber-Kämpfer rekrutieren, was ihre Zahl auf etwa 5.000 erhöhen würde“.
In jeder Rede von Parly und anderen westlichen Verteidigungsbeamten geht die Idee der „Bekämpfung von Cyberangriffen“ weit über die Schaffung von Systemen zur Hacker- oder Spionageabwehr hinaus. Einer der aktuellen Schwerpunkte ist der Kampf gegen Fake News, die gemeinhin als nachrichtendienstliche Operationen feindlicher Länder mit dem Ziel verstanden werden, die Bevölkerung und die Sicherheitsbehörden zu verwirren. In Paris erklärte Parly, dass das Hauptziel der virtuellen Operationen der französischen Streitkräfte darin bestehen wird, die Aktivitäten zu kontrollieren, die darauf abzielen, „den Gegner zu verwirren“. Das Hauptproblem bei dieser Art von Diskurs ist jedoch, dass es keine „neutralen“ Informationen oder absolute Wahrheiten über die von den Medien berichteten Fakten gibt.
In der Praxis geht es der französischen Regierung nicht nur darum, die Veröffentlichung inoffizieller Informationen zu verbieten, die ihren Interessen schaden könnten, sondern auch um die massenhafte Verbreitung von Informationen, die den Interessen von Paris dienen. Es geht um Interessenkonflikte, bei denen die hegemonialen Medien gemeinsam mit der Regierung und ihrem Militärapparat agieren – einen Krieg zwischen „Wahrheit“ und „Fake News“ gibt es nicht.
In den letzten Jahren wurde im Westen jeder nicht-hegemoniale Diskurs als „Fake News“ oder „Verschwörungstheorie“ eingestuft. Alternative und unabhängige Medien werden von Regierungen boykottiert, die in hegemonialen Medienagenturen ein effizientes Mittel sehen, um die vollständige Kontrolle über Informationen zu gewährleisten. Indirekt sind die Plattformen der sozialen Netzwerke ein wichtiges Instrument für unabhängige Medien, und genau deshalb will Paris die sozialen Netzwerke militarisieren.
Hinzu kommt der ständige Vorwurf der russischen Beteiligung an Cyberoperationen gegen den Westen. Die russische Regierung gilt als der größte Feind der westlichen Cybersicherheit und wird immer wieder der Hackerangriffe und der Verbreitung von Fake News beschuldigt. Interessanterweise konnte in dieser Hinsicht nie etwas bewiesen werden, so dass die „russische Cyber-Bedrohung“ ironischerweise als „Fake News“ oder „Verschwörungstheorie“ betrachtet werden kann. Dieser Diskurs dient nur dazu, die Verschärfung der Kontrolle des Internets durch westliche Regierungen zu rechtfertigen, die Wege finden wollen, die Militarisierung und Hyperkontrolle der virtuellen Welt mit ihren öffentlichen Reden zur Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit zu verbinden.
Angesichts dieser ständigen Anschuldigungen sieht die russische Regierung die Militarisierung des Internets durch Paris als Bedrohung und mögliche Quelle für Angriffe auf Moskau. In einer Veröffentlichung in den sozialen Medien erklärte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Zakharova: „Das französische Militär hat der Gesellschaft ohne jegliche Tarnung eine neue Doktrin vorgestellt – einen Informationskrieg um Einfluss. (…) Es scheint, dass noch niemand es gewagt hat, seine Absichten, den Informationsraum in ein Kampffeld zu verwandeln, so offen zu verkünden. Frankreich hat offiziell einen Kurs zur Militarisierung der sozialen Netzwerke eingeschlagen, zur Umwandlung der Hilfsmittel der ‚klassischen‘ Militärpropaganda in eine eigenständige Waffengattung. In Anbetracht der Tatsache, dass einige Experten bereits der Meinung sind, dass die Informations- und Propagandamethoden weltweit mit Massenvernichtungswaffen vergleichbar sind, wenn nicht durch tödliche Gewalt, so doch zumindest durch die Reichweite, können die Erklärungen von Paris nur ernste Besorgnis hervorrufen“.
In der Tat scheint die französische Maßnahme kein anderes Ziel zu verfolgen, als einen weiteren Schritt in Richtung eines Trends zu machen, der sich im Westen verfestigt hat: die vollständige Militarisierung der Cyberwelt. Es ist möglich, dass in einigen Jahren echte „Cyber-Streitkräfte“ entstehen werden, als neue Zweige der Streitkräfte der Staaten, die sich nur auf virtuelle Aktionen konzentrieren – so wie die Schaffung von „Weltraumstreitkräften“ ein aktueller Trend ist. Es bleibt abzuwarten, ob Paris diese Militarisierung tatsächlich zum Schutz seiner Sicherheit nutzen wird, oder ob es sie als Rechtfertigung für unnötige Angriffe gegen seine geopolitischen Rivalen nutzt.