Kanada hat gerade sämtliche seiner bisherigen Rekorde für absurde und langweilige Wahlen übertroffen, die mit einem genauso vorhersehbaren wie tristen Ergebnis endeten.
Im Grunde genommen unerklärlich entschied sich Premier Justin Trudeau zu einem Wahlkampf, der nicht hätte kürzer ausfallen können. Er rief vorzeitige Neuwahlen aus, da er sein Management im Rahmen der Coronakrise als derart herausragend beurteilte, dass ihm eine größere Anstrengung im Wahlkampf überflüssig erschien. Sein Kalkül glich dabei jenem von Theresa May, die mit einer Neuwahl gestärkt aus dem Brexit hervorgehen wollte, wobei er ein starkes Mandat anstrebte, um das Land in markanter Weise auf einen Linkskurs zu bringen. Leider für ihn lehnte die Mehrheit der Bürger dieses Vorhaben ab, das Trudeau nie wirklich konkret skizzieren wollte.
Bei Lichte betrachtet war auch Trudeaus Leistung in Bezug auf die Coronapandemie von einer viel zu großen Strenge und einer langwierigen Suche nach dem richtigen Weg geprägt. Beispielsweise trat er recht früh in Verhandlungen mit China über den Einkauf eines Impfstoffs ein, der sich bald als weitgehend unwirksam entpuppte. Diese Verzögerung setzte sich in der Folge durch, so dass Kanada bis vor etwa zwei Monaten eine geringere Impfquote als fünfzig andere Länder aufwies. Nicht nur deswegen hat sich bei der Mehrheit der Kanadier die Ansicht durchgesetzt, wonach Trudeaus wichtigste beiden Errungenschaften im Leben darin bestehen, die Geburt überlebt zu haben und dank seines Vaters einen berühmten Nachnamen zu haben.
In den bisherigen sechs Jahren seiner Amtszeit legte Trudeau einen ins Lächerliche gehenden alarmistischen Blick auf den Klimawandel an den Tag und lenkte in vergleichbar lächerlicher Weise mit selbstgefälligen Auftritten von den erstklassigen Rahmenbedingungen Kanada ab, das mit einem kleinen CO2-Fußabdruck und allgemein hohen ökologischen Standards im Hinblick auf den Umweltschutz eine sehr gute Figur abgibt. Er setzte sich hehre Ziele und begann systematisch mit dem Abwürgen der Öl- und Gasindustrie, bei denen es sich um die Kernstücke des wirtschaftlichen Wohlstandes in Kanada handelt, was in Westkanada sogar einer merklichen Debatte um eine Loslösung von Kanada führte.
Ein weiteres seiner Steckenpferde bestand in der Anerkennung des „kulturellen Völkermordes“ durch Engländer und Francokanadier an den Ureinwohnern, der einen starken ideologischen Blick erfordert, um ihn zu erkennen. Noch mehr hat er sich immer wieder in Genderfragen verheddert, setzte unter anderem das Geschlecht mit Sexualität gleich und präsentierte auf sprachlicher Ebene mit Wonne seine gute Gesinnung (Stichwort: „Peoplekind“ anstelle von „Mankind“). Die Regierung Trudeaus tritt bequem auf sämtlichen Modeerscheinungen unseres Zeitgeistes, während sie jeglichen Gedanken an die eigentliche Zukunft des Landes oder irgendeine Originalität bei der politischen Verwaltung des Landes vermissen ließ.
Dennoch schaffte er es gestern am Ende doch noch über die Ziellinie. Die Regierung wurde bestätigt, wobei quasi alle Parteien jenes Ergebnis einfuhren, auf das sie auch kurz vor Beginn der Pandemie kamen. Als einzige politische Persönlichkeit erwies sich im derzeitigen Betrieb der Anführer der Separatistenpartei der Québecois, Yves-François Blanchet, der wie es scheint, als einziger sämtliche Eigenschaften auf sich vereinen kann, die ein Parteichef in einem wohlhabenden Industrieland auf sich vereinen sollte.
Da sich alle fünf Parteien, die bei der Wahl Abgeordnetensitze gewinnen konnten, links der Mitte verorten lassen wird Kanadas Politik trotz Trudeaus leichtem Dämpfer einen merklich linken Einschlag behalten, wie es schon immer war. Trudeaus Liberale Partei regierte in 84 der letzten 125 Jahre und konnte in dieser Zeit 22 Wahlsiege einfahren verglichen mit nur 8 Wahlsiegen für konservative Parteien. Der Grund dafür lässt sich in Quebec verorten, wo einzig Brian Mulroney, der zwischen 1984 und 1993 Premierminister war, gute Ergebnisse einfahren konnte.
Mit dem Vorteil des französischen Quebecs im Rücken schafften es die Liberalen immer wieder, die vor allem im englischen Teil des Landes vorherrschenden Konservativen in abwertender Weise als Hinterwäldler hinzustellen, die nur darauf aus sind, die Todesstrafe wieder zu beleben und jeden damit zu bestrafen, der etwas positives über Abtreibungen sagt. Sie zwangen die Konservativen damit zu einem Spagat zwischen wertkonservativen Positionen und dem Werben um Wähler in der Mitte, bei dem sogar der scharfsinnige Mulroney seine Probleme hatte, was der Liberalen Partei stets einen Vorteil einbrachte, da es diese Art der Abgrenzungsbewegung von links nicht gab.
Mit den USA als übermächtigen Nachbar sind Kanadier stets etwas zu sehr mit dem Mangel einer eigenständigen Identität beschäftigt, was in einem undefinierbaren und schwammigen Außenbild resultiert. Nicht anders sieht es in der Innenpolitik aus. Kanada ist ein gut funktionierendes, wohlhabendes und überaus großzügiges Land. Allerdings ist es auch langweilig, was von der Mittelmäßigkeit des aktuellen politischen Personals noch einmal verstärkt wird.
Selten trat dieses Problem so offen zutage wie bei dieser vorgezogenen Wahl und ihrem überflüssigen Ergebnis. Für Kanada jedenfalls ist es alles andere als eine gute Nachricht, wenn ein Volk stets jene Regierung bekommt, die es verdient.