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Pläne der EU sollen Big Tech erlauben, Ihre medizinischen Daten ohne Erlaubnis zu nutzen

Im Mai 2022 schlug die Europäische Kommission den Europäischen Gesundheitsdatenraum (European Health Data Space, EHDS) vor, die Art und Weise zu verbessern, wie die sensiblen medizinischen Daten der Menschen für verschiedene Verwendungszwecke zugänglich gemacht werden.

Dazu gehört auch die Möglichkeit für Krankenhäuser und Ärzte, Informationen über aktuelle Patienten mit Fachkollegen im Ausland zu teilen. So soll es beispielsweise für einen Hausarzt in Schweden einfacher werden, eine digitale Kopie der CT-Ergebnisse seines rumänischen Patienten vom Radiologen in Rumänien zu erhalten, um die Behandlung fortzusetzen.

Der EHDS schlägt außerdem vor, Krankenhäuser oder Ärzte gesetzlich zu verpflichten, Ihre medizinischen Daten an eine neu geschaffene Regierungsbehörde weiterzugeben, die wiederum jedem, der ein Forschungsinteresse geltend macht, Zugang gewähren kann. Dazu gehören nicht nur Akademiker, sondern auch Pharmaunternehmen, Start-ups für Wellness-Apps und sogar Big-Tech-Konzerne wie Google und Facebook, die Daten sammeln.

Ihre medizinischen Daten enthalten Details über Ihre körperliche, geistige und sexuelle Gesundheit, Ihre Drogen- und Alkoholvergangenheit und alle familiären und arbeitsbezogenen Probleme, die Sie eigentlich nur Ihrem Arzt anvertraut haben. Schlimmer noch: Die Informationen in den Krankenakten lassen sich kaum anonymisieren, d. h. sie sind relativ leicht als Ihre Daten identifizierbar.

Deswegen gaben 75 % der Europäer in einer kürzlich durchgeführten Ipsos-Umfrage an, dass sie Forschern nur dann Zugang zu ihren Krankenakten gewähren, wenn sie um ihre ausdrückliche Zustimmung gebeten wurden, und genau das sollte der EHDS verlangen.

Big Tech ist auf dem Vormarsch

Ohne ein solches Zustimmungserfordernis könnte Google beispielsweise Zugang zu den Einzelheiten Ihrer Krebsbehandlung oder den Ergebnissen Ihrer letzten Psychotherapiesitzung erhalten, um seine neue KI für eine Wellness-App zu trainieren. Und die Ergebnisse könnten in das Werbegeschäft des Unternehmens einfließen.

Wenn Ihnen das nicht gefällt, haben Sie Pech: Der EHDS sieht nicht vor, dass die Patienten um ihr Einverständnis gebeten werden; er enthält nicht einmal ein Widerspruchsrecht gegen diese Art der übermäßigen Datenweitergabe.

Ihre medizinischen Unterlagen enthalten Informationen über alle Aspekte Ihres Lebens. Von der Geburt über die Kindheit und die Pubertät bis zu allen Krankheitszeiten, psychischen Problemen und anderen gesundheitlichen Problemen, die Sie jemals hatten. Sie sollten selbst die Kontrolle darüber haben.

Mehr als ein Dutzend Organisationen, die Patienten, Angehörige medizinischer Berufe, Menschen mit Behinderungen, Verbraucherverbände, Organisationen für digitale Rechte sowie Arbeitnehmer und Gewerkschaften vertreten, haben sich schriftlich an die Mitglieder des EU-Parlaments gewandt und sie aufgefordert, das Erfordernis der Einwilligung in den Vorschlag über Gesundheitsdaten aufzunehmen. Dies ist von entscheidender Bedeutung, um die Rechte der Patienten zu schützen und sicherzustellen, dass sie die Kontrolle über die Verwendung ihrer privaten medizinischen Daten haben.

Bye bye Hippokratischer Eid

Der EHDS würde Ärzte und andere medizinische Fachkräfte zu Komplizen bei der erzwungenen Kommerzialisierung und Monetarisierung jedes Aspekts Ihrer Gesundheit machen, ohne Sie jemals um Ihre Zustimmung zu bitten. Es würde den hippokratischen Eid der Vertraulichkeit zerstören, an den jeder Mediziner gebunden sein sollte.

Die globale Tech-Industrie wartet nur auf die Gelegenheit, die medizinischen Daten der Europäer in die Hände zu bekommen. Apple verfügt bereits über ein umfangreiches Angebot im Bereich “digitale Gesundheit”, und Google hat im Jahr 2020 mehr als 2 Milliarden Dollar [1,82 Milliarden Euro] für die Übernahme des Herstellers von Gesundheitsgeräten Fitbit bezahlt, um in den Markt für Gesundheitsdaten einzusteigen.

Die Übernahme von Fitbit durch Google zeigt, welchen enormen finanziellen Wert Gesundheitsdaten haben, selbst für Unternehmen, die nicht zur medizinischen Forschung im öffentlichen Interesse beitragen, und warum sie niemals ohne Ihre Zustimmung an Dritte weitergegeben werden sollten.

Nicht zu vergessen Regierungen und Cyber-Kriminelle

Ihre medizinischen Daten sind nicht nur für Unternehmen von Interesse. Wenn sie in zentralen, staatlichen Datenzentren gespeichert werden, wie es der EHDS vorschlägt, könnten sie genauso gut von Ihrer eigenen Regierung missbraucht werden.

Im Januar 2023 führte die polnische Polizei eine Razzia in einer privaten Gynäkologiepraxis in Stettin durch. Der Staatsanwalt behauptete, es seien “kriminelle Handlungen” in Form von medizinischen Abtreibungen auf Wunsch der Patientinnen vorgenommen worden. In Polen ist der Schwangerschaftsabbruch de facto verboten. Bei der Razzia wurden medizinische Unterlagen beschlagnahmt, die bis ins Jahr 1996 zurückreichen.

Stellen Sie sich vor, wie einfach es für die polnische Regierung wäre, jede Frau zu verfolgen, deren Krankenakte auch nur den geringsten Hinweis darauf enthält, dass sie eine Abtreibung in Erwägung ziehen könnte, wenn die medizinischen Daten aller Menschen in einer zentralen Datenbank gespeichert würden, die von derselben Regierung betrieben wird.

Doch damit nicht genug: Die Speicherung der medizinischen Daten von Millionen von Menschen in einer zentralen Datenbank ist ein unglaublich attraktives Ziel für böswillige Hacker aus aller Welt.

Mit dieser Art von intimen Informationen können gewöhnliche Kriminelle Lösegeld von Ihnen erpressen, indem sie damit drohen, Ihre medizinischen Daten preiszugeben. Erst letztes Jahr brach eine kriminelle Ransomware-Bande in die medizinische Datenbank eines Anbieters von Gesundheitssystemen in den USA ein und begann, Nacktbilder von Brustkrebspatientinnen im Internet zu veröffentlichen, nachdem sich der Anbieter weigerte, das Lösegeld zu zahlen.

Die medizinische Forschung ist unglaublich wichtig und ist oft auf den Zugang zu solchen Daten angewiesen, um neue Medikamente zu entwickeln und unser Verständnis des menschlichen Körpers zu verbessern. Aber wer auch immer diese Forschung betreiben will, muss immer zuerst Ihre Erlaubnis zur Nutzung Ihrer Daten einholen. Idealerweise sollten sie verpflichtet sein, ihre Forschungsergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, damit sie für uns alle von maximalem Wert sind.

Der EU-Gesetzgeber muss daher den EHDS in diesem Sinne ändern, damit wir unseren Ärzten weiterhin die intimsten Details unserer körperlichen, geistigen und sexuellen Gesundheit anvertrauen können.