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Seymour Hersh: Israel bereitet eine weitere Invasion vor

Hinter Bibis jüngsten Schritten, die Hamas vor Ort auszulöschen
Seymour Hersh

Israels Premierminister Benjamin Netanjahu und seine rechtsextremen Unterstützer haben von Anfang an klargemacht: Die fast zwei Millionen Menschen im Gazastreifen – hineingezogen in den Krieg, den die Hamas vor 18 Monaten begonnen hatte – waren für sie nie wirklich von Belang. Ihre Leben wurden als Kollateralschäden betrachtet, während Israel in Reaktion auf den Angriff vom 7. Oktober ununterbrochen Bomben auf den Gazastreifen regnen ließ. Nun ist Israel bereit für eine neue Runde der Vergeltung.

Am 18. März brach Netanjahu eigenmächtig die Bedingungen des Waffenstillstands mit der Hamas, indem er eine Reihe israelischer Luftschläge autorisierte. Schätzungen zufolge kamen dabei rund 400 Menschen im Gazastreifen ums Leben. Der Premierminister behauptete fälschlicherweise, die Angriffe seien nötig gewesen, weil sich die Hamas geweigert habe, einseitig weitere israelische Geiseln freizulassen. Tatsächlich zielte er darauf ab, den Krieg direkt zu den noch verbleibenden 20.000 bis 25.000 Hamas-Kämpfern zu tragen – Männer, die sich heute oft in kleinen Gruppen oder isoliert bewegen, vielfach nur mit Pistolen und Gewehren bewaffnet.

In seinem verzweifelten Ringen um den Machterhalt versprach Netanjahu nach dem 7. Oktober, dass die Hamas „einen nie dagewesenen Preis“ für die Ermordung von mehr als 1.200 Israelis und die Gefangennahme von 251 Geiseln zahlen werde. Und er meinte es ernst. Was jedoch weder er noch die israelische Öffentlichkeit erwartet hatten: Dass die Hamas weiterhin Widerstand leisten würde – während mehr als 50.000 Menschen im Gazastreifen, die meisten davon Frauen und Kinder, bereits durch israelische Bombardements und Bodenkämpfe ums Leben kamen. Diese Zahl könnte noch viel höher liegen, zumal sie weder die unzähligen Verletzten noch jene erfasst, die durch den Mangel an Wasser, Nahrung, Wohnraum, medizinischer Versorgung und durch ständige Luftangriffe traumatisiert wurden.

Als die Zahl ziviler Opfer immer weiter anstieg, ließ die internationale Unterstützung für Israels Luftkrieg rapide nach – doch die Bombardierungen gingen unvermindert weiter.

Die Hamas hielt durch – trotz des Verlusts ihrer Führung, trotz Nachschubmangels und der weitgehenden Zerstörung ihres Tunnelnetzes, das einst Schutz bot. Israels frühe Versprechen eines schnellen Sieges wurden mit Tausenden Luftangriffen auf zivile und militärische Ziele untermauert – doch der Krieg dauert bis heute an. Nun gibt Netanjahu erneut ein Versprechen ab – diesmal an die extreme Rechte in Israel: Religiöse Fanatiker, die im Westjordanland die Gewalt eskaliert haben und den Norden Gazas in Siedlungsland verwandeln wollen. Netanjahu wird ihnen geben, was sie wollen – und im Gegenzug sichern sie ihm den Machterhalt. Eine Allianz, geschlossen auf zerbrochenen Körpern.

Die israelischen Verteidigungskräfte – deren mittlere Kommandoebene ebenfalls zunehmend von religiösen Eiferern geprägt ist – werden nun erneut nach Gaza geschickt. Ein Krieg von Haus zu Haus, Tunnel zu Tunnel, Mann gegen Mann steht bevor. Netanjahus Ziel: Die verbleibenden Hamas-Kämpfer aufzuspüren und zu eliminieren. Eine Ausrottungskampagne. Es gibt bislang keine offiziellen Schätzungen zu möglichen Verlusten auf Seiten der IDF, doch geht man davon aus, dass bis zu fünf Divisionen – jeweils etwa 10.000 Soldaten – oder sogar deutlich mehr einberufen werden.

Israels Krieg in Gaza hat während der Waffenstillstände kaum pausiert. Die Präsenz israelischer Truppen in Gaza und im Westjordanland wurde ausgebaut, gezielte Tötungen – auch an arabischen Journalisten – nahmen stetig zu. Und trotz überwältigender Bodentruppen, überlegener Luftwaffe und ständiger Versorgung mit US-Bomben und Munition gelang es Israel bisher nicht, diesen Krieg zu gewinnen. Also versucht Netanjahu es erneut.

Präsident Donald Trump schien zwischenzeitlich mit der Idee zu spielen, den Gazastreifen nach einer Evakuierung der Bevölkerung in ein Ferienresort zu verwandeln – unter finanzieller Beteiligung Saudi-Arabiens und anderer Golfstaaten. Doch als diese sich verweigerten, verlor er das Interesse. Dennoch versorgt seine Regierung die Netanjahu-Administration weiterhin mit Bomben, Munition und politischer Rückendeckung.

Ein israelischer Veteran, dem ich kürzlich begegnete, erinnerte sich wehmütig an Zeiten, in denen Israel innerlich geeint war – auch mit seinen arabischen Bürgern. Heute sehe er „mindestens drei Israels“, so sagte er. Einst herrschte ein Gleichgewicht zwischen rechts und links – zwischen Begin/Shamir auf der einen, Rabin/Peres auf der anderen Seite. Doch unter Netanjahu habe sich das aufgelöst. Die Exekutive strebe nach absoluter Macht, indem sie den innerjüdischen Konsens zerschlägt. Er sprach von gezielter Spaltung: Aschkenasim gegen Mizrahim, säkular gegen ultraorthodox – und von parasitären Ultraorthodoxen, die Netanjahu in Kriegszeiten mit Staatsgeldern überschütte, um sich deren Unterstützung zu sichern.

Ein erfahrener US-Beamter erinnerte mich daran, dass er zu Beginn des Kriegs vorausgesagt hatte, Israel werde unter Netanjahu „nicht aufhören, bis alle Hamas-Kämpfer tot sind“. Die Waffenruhen seien nur taktisches Täuschungsmanöver gewesen – um Hamas-Leute aus der Deckung zu locken. Tote Männer auf dem Weg zum Schlachtfeld. Geiseln sollten durch vorgetäuschte Verhandlungen befreit werden – jetzt ist auch diese Strategie erschöpft. Was mit der Bevölkerung Gazas geschieht, liege nun an den reichen arabischen Staaten. Manche in Israel glauben: Erst wenn Hamas besiegt ist, könnte internationale Hilfe einsetzen – nicht vorher.

Ich sprach auch mit hochrangigen israelischen Offizieren. Einer von ihnen sagte mir, er unterstütze den Krieg gegen die Hamas – obwohl er Netanjahu kritisch gegenüberstehe. „Bibi braucht die Existenz der Hamas, um den Krieg am Laufen zu halten. So übertönt er alle Kritik – sei es am Staatshaushalt, an Verrätern in seinem Umfeld oder an seinen Champagner saufenden Söhnen im Ausland.“ Zugleich betonte er: „Die Hamas ist gefährlich. Wenn wir also wieder 20 ihrer Anführer töten, kann ich nicht dagegen sein.“ Militär, Shin Bet und Mossad hätten die neue Offensive gebilligt – wissend, dass es Geiseln das Leben kosten werde.

Der Offizier zeigte kein Mitleid mit den Palästinensern: „Natürlich will ich den Krieg beenden – aber nur, weil es die einzige Chance ist, unsere Geiseln zurückzubekommen. Die Gazaner haben bekommen, was sie verdient haben. Aber keinen Völkermord. Den gab es nicht. Sie haben ihre Kinder zu Mördern erzogen, zu Märtyrern. Dieser Hass eint sogar mich, einen liberalen Israeli, mit [Finanzminister] Smotrich. Nur über das Wie sind wir uns uneins.“

Sein Urteil: „Die Gazaner sind Islamo-Nazis. Ihre Kinder – islamo-nazistische Hitlerjungen, die für ihren Führer bis zum letzten Moment kämpfen. Aber wir sind keine Nazis. Wir müssen einen Weg zur Veränderung finden. Die Amerikaner haben das von 1945 bis 1950 mit Deutschland geschafft.“

Seine abschließenden Worte waren von bitterer Ironie durchzogen. Denn er weiß wie viele: Eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts scheint in weiter Ferne. Vor allem, wenn Netanjahu und seine extremistischen Verbündeten weiterhin das Land dominieren. Doch jetzt beginnt sich die arabische Welt zu regen – jahrzehntelang konfrontiert mit einem atomar bewaffneten Israel. In Saudi-Arabien sollen bald Atomkraftwerke entstehen. Das würde Israels nukleares Monopol im Nahen Osten beenden – und die Spielregeln neu schreiben.