Eine neue Organisation, die den von Israel entwickelten, stark umstrittenen Plan zur Kontrolle der humanitären Hilfe im Gazastreifen verwalten soll, wird private Auftragnehmer einsetzen, um sogenannte „Drehkreuze“ zu sichern. Dort sollen Palästinenser standardisierte Mahlzeiten mit einem Kalorienwert von 1.750 kcal erhalten – für etwas mehr als einen US-Dollar pro Portion, finanziert durch Spender.
Ein 14-seitiges Dokument, das Middle East Eye vorliegt und derzeit unter Hilfsorganisationen im Gazastreifen zirkuliert, enthält die zentralen Details zur Strategie der Gaza Humanitarian Foundation (GHF). Diese bislang unbekannte Stiftung wurde im Februar in der Schweiz registriert und soll künftig als Dachorganisation agieren, welche die humanitären Operationen in Gaza übernimmt. NGOs werden eingeladen, sich ihrer „logistischen, sicherheitsbezogenen und transparenten Rahmenstruktur“ anzuschließen.
Das Dokument, das nicht datiert ist, enthält detaillierte Informationen zur Organisation und Arbeitsweise der Stiftung – auch wenn einige Aspekte noch unklar bleiben. Die GHF wird überwiegend von US-Amerikanern geleitet, mit Beteiligung von Experten aus Katastrophenhilfe, Sicherheitsapparaten und dem Finanzsektor.
Das Papier wurde publik, während UN-Organisationen und internationale Hilfswerke, die dem GHF-Modell bislang skeptisch oder ablehnend gegenüberstehen, offenbar von der US-Regierung unter Druck gesetzt werden, sich doch zu beteiligen. Amnesty Schweiz warnte diese Woche, dass die GHF aufgrund ihrer Struktur und Zielsetzung das Risiko berge, durch ihre Dienste in internationale Verbrechen verstrickt zu werden.
Unterdessen ist die Umsetzung des Plans offenbar bereits angelaufen. Das israelische Sicherheitskabinett hat dem Vorhaben am Sonntag zugestimmt. Satellitenbilder, die am Mittwoch auftauchten, deuten darauf hin, dass der Bau der neuen humanitären Zentren bereits begonnen hat.
Ein neues Betriebsmodell
Die GHF beschreibt ihre Initiative als „neues Betriebsmodell“. In dem Dokument heißt es, dass Millionen Zivilisten aufgrund von Umleitungen, aktiven Kampfhandlungen und eingeschränktem Zugang von Nahrungsmitteln und Hilfsgütern abgeschnitten seien. Von den israelischen Blockaden, die die Bevölkerung in den vergangenen zwei Monaten an den Rand des Massenhungers getrieben haben, ist jedoch nicht die Rede.
Stattdessen heißt es, dass Hamas und kriminelle Gruppen Hilfslieferungen abgefangen, besteuert und weiterverkauft hätten. Außerdem seien israelische „Sicherheitsbedenken und politischer Druck“ verantwortlich für eine „risikoscheue Politik“ gegenüber Hilfsorganisationen und für die Zugangsbeschränkungen.
Ein zentrales Anliegen der GHF sei es laut Dokument, das „erodierte Vertrauen der Geber“ zurückzugewinnen. Man wolle eine „unabhängige, streng geprüfte Struktur“ schaffen, die Hilfsgüter direkt und ausschließlich an Bedürftige verteilt.
Geplant ist die Einrichtung von vier sicheren Verteilzentren, die jeweils 300.000 Menschen versorgen sollen – mit der Option, die Kapazität auf über zwei Millionen zu erweitern. Vorgepackte Rationen, Hygienekits und medizinische Hilfsgüter sollen per gepanzertem Transport „durch streng kontrollierte Korridore mit Echtzeitüberwachung“ geliefert werden, um Umleitungen zu verhindern.
Eine einzelne Mahlzeit soll laut Dokument nur 1,30 US-Dollar kosten und 1.750 kcal enthalten. Spendern wird in Aussicht gestellt, durch sogenannte „Familienboxen“ mit jeweils 50 Mahlzeiten helfen zu können. Zum Vergleich: Das Welternährungsprogramm der UN strebt pro Empfänger 2.100 kcal täglich an.
Das israelische Militär soll „nicht an oder in der Nähe“ der Verteilzentren präsent sein. Für die Sicherheit seien „erfahrene Fachkräfte“ zuständig – darunter auch Personal, das bereits während des jüngsten Waffenstillstands den Netzarim-Korridor gesichert habe. Die Hilfe werde „ausschließlich auf Grundlage des Bedarfs“ verteilt – ohne Rücksicht auf Herkunft, Identität oder Zugehörigkeit. Würde und Sicherheit der Betroffenen hätten oberste Priorität.
US-Kontrolle und lokale Integration
Kritiker warnen bereits vor einem von den USA dominierten Hilfsmodell, insbesondere nachdem die Trump-Regierung die UNRWA als „kompromittiert“ bezeichnet hatte. Die GHF kündigt an, lokale Gemeinschaften einzubinden, um Unterstützung zu gewinnen, und zusätzliche „lokale Champions“ auszubilden, um das Programm zu skalieren.
Ziel sei es, „nicht nur den humanitären Zugang zu sichern, sondern auch lokale Anführer zu befähigen, die Wiederherstellung ihrer Gemeinschaften zu fördern“, so das Dokument.
Amerikanische Führungskräfte
Im Vorstand der GHF sitzen prominente US-Figuren:
- Nate Mook, Ex-CEO von World Central Kitchen und Berater der Howard G. Buffett Foundation (Ukraine),
- Loik Henderson, Jurist und Wirtschaftsexperte mit Fortune-500-Hintergrund,
- Raisa Sheynberg, Politikchefin bei Mastercard, ehemalige Führungskraft im Facebook-Projekt „Libra“ und US-Sicherheitsberaterin,
- Jonathan Foster, Gründer von Current Capital Partners LLC.
CEO der Stiftung ist Jake Wood, Ex-Marine, Gründer von Team Rubicon und der Spendenplattform Groundswell.
David Burke, ebenfalls Ex-Marine und früher bei Team Rubicon, fungiert als COO.
John Acree, Ex-USAID-Mitarbeiter und „Parteichef“ bei US-Regierungsprojekten in Lateinamerika im Umfang von über 45 Millionen Dollar, übernimmt die Rolle des Missionsleiters.
Im Beirat sitzen unter anderem:
- Bill Miller, Ex-UN- und US-Außenamtsbeamter,
- Generalleutnant a.D. Mark Schwartz, ehemaliger US-Sicherheitskoordinator für Israel und die Palästinensische Behörde.
Als potenzielles Mitglied ist David Beasley, Ex-Gouverneur von South Carolina und Ex-Direktor des UN-Welternährungsprogramms, vorgesehen.
Die Stiftung lädt große Geldgeber ausdrücklich dazu ein, eigene Kandidaten für den Verwaltungsrat zu nominieren. Auch Gespräche mit „prominenten Palästinensern“ über eine Beteiligung im Vorstand seien im Gange.
Volle Rückverfolgbarkeit – mit Hilfe von US-Banken
Laut Dokument soll jeder Dollar nachvollziehbar sein. Die GHF hat Bankverbindungen zur Truist Bank und JPMorgan Chase in den USA. Ein öffentliches Dashboard soll Echtzeitüberwachung und Rückmeldungen der Empfänger abbilden.
Truist verweist auf frühere Hilfseinsätze, darunter 725 Mio. US-Dollar für den Wiederaufbau nach Hurrikan Helene.
Zusätzlich wird eine Schweizer Tochtergesellschaft der GHF gegründet, um „Spender zu gewinnen, die sich nicht an die US-Struktur binden möchten“.
Goldman Sachs soll sich mündlich verpflichtet haben, ein Konto für die GHF einzurichten und eine der weltweit renommiertesten Prüfgesellschaften zur externen Kontrolle zu engagieren.