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Aufeinander zu
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Aufeinander zu

Um als Spezies zu überleben, müssen wir vom Weg der Gewalt und der Hierarchie abkommen und uns in Freiheit miteinander arrangieren.

von Rudolf Hänsel

Wir beginnen als ungeschriebenes Blatt, bis wir von unseren Eltern und anderen Erwachsenen mit deren Narrativen, Vorstellungen und Projektionen beschrieben werden. Schon als Kinder erfahren wir Misstrauen, erleben uns selbst als Wesen, deren Wildheit und spontaner Lebensausdruck als gefährlich gilt und in Zaum gehalten werden muss. Wir erlernen das Leben in Hierarchien, bei denen unser Platz zunächst ganz unten ist. Wir werden gemaßregelt und geformt, oft deformiert. Wie wir in der prägenden Phase behandelt werden, behandeln wir schließlich auch andere. Eine Kultur des gegenseitigen Misstrauens und der Angst greift Raum. Die Schrumpfform des Menschen nimmt Gestalt an: der Untertan. Wollen wir diesen höchst destruktiven Prozess umkehren, müssen wir uns zunächst wieder auf unsere innerste Kraftquelle besinnen. Wir müssen es aushalten, notfalls allein und abseits dazustehen und doch bei unserer Wahrheit zu bleiben. Als authentische Einzelne können wir dann den Weg aufeinander zu gehen — hin zu Gemeinschaften freier, vor allem angstfreier Menschen.

„Eines Tages klopfte die Angst an die Tür. Der Mut stand auf und öffnete, aber da war niemand draußen.“

Dieses ursprünglich englische Sprichwort wurde zu Beginn des Jahres 2020 Johann Wolfgang von Goethe zugeschrieben. Ausgestattet mit der Autorität des deutschen Dichterfürsten wurde es in kurzer Zeit ein beliebter Motivationsspruch gegen die Angst vor dem Coronavirus. Das Zitat gibt eine Lebensweisheit wieder, die im Folgenden psychologisch bekräftigt und vertieft wird. Wenn wir