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Die globale Schifffahrtskrise weit schlimmer als gedacht – die Lockdowns haben weitaus gravierendere langfristige Auswirkungen, als den meisten bewusst ist

Die globale Schifffahrtskrise weit schlimmer als gedacht – die Lockdowns haben weitaus gravierendere langfristige Auswirkungen, als den meisten bewusst ist

Von F. William Engdahl: Er ist strategischer Risikoberater und Dozent, er hat einen Abschluss in Politik von der Princeton University und ist ein Bestseller-Autor über Öl und Geopolitik, exklusiv für das Online-Magazin „New Eastern Outlook“

In den letzten Jahrzehnten hat sich der Welthandel über den Seeweg fast exponentiell ausgeweitet, da die Auslagerung der Produktion von US-amerikanischen und europäischen Unternehmen im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung stark zugenommen hat. Das Ergebnis war, dass Asien, vor allem China, zur wichtigsten Produktionsquelle für alles vom iPhone bis zu Antibiotika und allem, was dazwischen liegt, geworden ist. Die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO), die neue Regeln für den Handel aufstellen soll, war eine wichtige Triebkraft. Sie hat auch die globalen Lieferketten für die Auslieferung von Waren fragiler gemacht als je zuvor in der Geschichte. Der Anstieg der Kosten für die Verschiffung von Seecontainern zeigt die wachsende Krise. Verschärft wird die wachsende Krise durch den enormen Arbeitskräftemangel aufgrund der globalen COVID-Maßnahmen.

Ursprünge der Krise

Laut der in Deutschland ansässigen Forschungsabteilung von Statista werden etwa 80 Prozent aller Güter weltweit auf dem Seeweg transportiert, darunter Öl, Kohle und Getreide. Davon macht der globale Seecontainerhandel wertmäßig etwa 60 Prozent des gesamten Seehandels aus, was einem Wert von rund 14 Billionen US-Dollar im Jahr 2019 entspricht. Diese Seeschifffahrt ist auf Gedeih und Verderb zur Schlagader der Weltwirtschaft geworden.

Dies ist eine direkte Folge der Gründung der WTO in den 1990er Jahren mit neuen Regeln, die die Auslagerung der Produktion in Länder begünstigten, in denen die Produktion weitaus billiger war, d.h. solange der Seetransport billig war. Nachdem China 2001 Mitglied der WTO wurde, war es der größte Nutznießer der neuen Regeln und innerhalb eines Jahrzehnts wurde China als “Werkstatt der Welt” bezeichnet. Ganze Industrien wie Elektronik, Pharmazeutika, Textilien, Chemikalien sowie Kunststoffe wurden zur Fabrikmontage nach China mit den damals weltweit niedrigsten Löhnen verlagert. Das funktionierte, weil die Kosten für den Transport in die westlichen Märkte vergleichsweise niedrig waren.

Als die Wirtschaftsleistung Chinas wuchs, wurde China zu einem weltweiten Versandriesen, der seine Waren billig an Orte wie Long Beach oder Los Angeles, Kalifornien in den USA oder Rotterdam in Europa verschiffte. Der Einzelhandelsriese Walmart war Ziel für einen riesigen Anteil der China-Waren, denn bis zu 80 % seiner Produkte stammen aus China. Dies ist kein kleines Bier, wie man in Texas sagt. Walmart ist mit einem Jahresumsatz von 549 Milliarden Dollar das umsatzstärkste Unternehmen der Welt. Als Ergebnis dieser Globalisierung verfügt China heute über 8 der 17 größten Häfen der Welt, was das Versandvolumen angeht, um seine Exporte abzuwickeln.

Die Expansion des chinesischen Seeverkehrs bildet zusammen mit der von Japan und Südkorea den größten Teil des weltweiten Seecontainer-Verkehrs. Dieser lebenswichtige Wirtschaftsfluss steht nun unter einem noch nie dagewesenen Stress, der schon bald katastrophale weltwirtschaftliche Folgen für die Warenlieferketten der Welt haben könnte.

Als das von der WHO als neuartiges Coronavirus bezeichnete Virus, das erstmals in Wuhan auftrat, im März 2020 zur globalen Pandemie erklärt wurde, waren die Auswirkungen auf den Welthandel unmittelbar und enorm, da die Länder ihre Volkswirtschaften abriegelten, was in Friedenszeiten beispiellos ist. Bestellungen für Produkte aus China und anderen asiatischen Produzenten wurden von westlichen Käufern eingefroren. Containerschiffe wurden im Jahr 2020 überall gestrichen. Als dann die Regierungen der USA und der EU Billionen von Dollar in Form von beispiellosen Konjunkturprogrammen freigaben, explodierte die Nachfrage nach Containern aus Asien in den Westen im Vergleich zum Angebot, da die Menschen begannen, die Konjunkturprogramme zu nutzen, insbesondere in den USA, um online zu kaufen, was größtenteils “made in China” war.

Das hatte einen ernsthaften störenden Einfluss auf das, was einst ein kleiner Kostenfaktor war – die Containerschifffahrt auf dem Meer. Moderne Containerhäfen, insbesondere die in China, sind hochmoderne, computergesteuerte Betriebe, die täglich Tausende von Containern über automatisierte Kräne verladen. In den Zielhäfen wie Long Beach oder Hamburg werden die Container dann auf LKWs oder Züge umgeladen und in die Zielstädte gebracht, bevor sie für den Rücktransport in den Hafen zurückgebracht werden. Genau diese komplizierte Lieferkette ist nun in der Krise.

Im Jahr 2019, vor der Pandemiekrise, kostete die Verschiffung eines 40 Fuß langen Containers von China nach Europa auf dem Seeweg zwischen 800 und 2500 USD. Für den Großteil der Produkte wie Textilien, Pharmazeutika oder Smartphones waren Seecontainer für den Asien-Europa-Handel trotz der Möglichkeiten der Schiene eindeutig die beste und kostengünstigste Option. Für den Asien-Nordamerika-Handel war er fast die einzige Option, da Luft eine kostspielige Alternative war. Heute, da der Flugverkehr um 50 % reduziert wurde, sind Containerschiffe praktisch die einzige Option für den Langstreckenverkehr.

Jetzt sind die Hafen-zu-Hafen-Spotraten, zum Beispiel von Shanghai, Chinas größtem Containerhafen, nach Los Angeles, laut Drewry Supply Chain Advisors von etwa 1500 $ pro 40-Fuß-Container kurz vor der WHO-Pandemie Anfang 2020 auf 4000 $ im September 2020 und auf 9631 $ in der Woche zum 8. Juli 2021 explodiert. Das ist ein Anstieg von über 600 % gegenüber Anfang 2020, also vor der Pandemie. Und das ist nur eine Ursache für die globale Inflation, die wir jetzt ausbrechen sehen.

Dies ist nicht das Schlimmste. Laut Drewry “haben wir Berichte über 15’000 $ von China zur Westküste gehört und sind uns bewusst, dass die Spediteure zusätzliche Prämien verlangen, um die Verladung einer späten Buchung vor normalen FAK [Freight All Kinds]-Ratenladungen zu priorisieren.” Von 1500 Dollar auf 15’000 Dollar in zwei Jahren ist ein Anstieg um das Zehnfache. Und die Raten von Shanghai nach Rotterdam sind ebenfalls in die Höhe geschnellt, von unter 2000 $ Anfang 2020 auf über 12’000 $ im Juli, also um 600 %.

Um ein Produkt zu nennen, bei dem es zu Beginn der Pandemie zu Panikkäufen kam: China ist mit 11 % des globalen Angebots Weltmarktführer beim Export von Toilettenpapier. Ein Anstieg der Seefrachtkosten um 600 % macht es unausweichlich, dass der Preis für etwas so Alltägliches wie Toilettenpapier deutlich steigen oder an wichtigen Orten der Welt knapp werden wird. Wenn ein solcher Druck auf die gesamte Produktpalette ausgeübt wird, werden die Seefrachtraten zu einem bedeutenden Treiber der allgemeinen Inflation.

Engpass bei Containern

Anfang 2020, als Nationen auf der ganzen Welt wegen der Angst vor dem Coronavirus in eine beispiellose Panikstarre verfielen, kam die globale Schifffahrt zum Erliegen. Überall wurden Fabriken geschlossen. Später im Jahr 2020 wurden die Ströme langsam wieder aufgenommen, als China sich öffnete. Als im späteren Verlauf des Jahres 2020 klar wurde, dass die verschiedenen riesigen staatlichen Konjunkturprogramme die Nachfrage nach asiatischen Gütern ankurbeln würden, insbesondere die Nachfrage über E-Commerce-Plattformen wie Amazon, entwickelte sich eine dramatische Verknappung der verfügbaren Container. Allein in den USA wurden seit Anfang 2020 insgesamt 9 Billionen Dollar an fiskalischen und monetären Stimuli freigesetzt. Das ist weltgeschichtlich.

Die Welthandelsströme können mit dem Blutkreislauf des menschlichen Körpers verglichen werden. Wenn es zu Engpässen bei der Überlastung von Häfen kommt, oder sagen wir bei der Blockade des Suezkanals, dann ist das für das menschliche Kreislaufsystem ähnlich wie ein Blutgerinnsel. Die Blockade des riesigen Containerschiffs Ever Given der taiwanesischen Evergreen Co. im Suezkanal im März 2021 legte den Schiffsverkehr auf einer der wichtigsten Wasserstraßen der Welt zwischen China und Europa für fast eine Woche lahm und führte zu Engpässen bei Containerlieferungen, die bis heute nicht vollständig behoben sind. Dann sorgten in China neue Tests für Covid im großen Containerhafen Yantian – Teil des weltweit viertgrößten Containerhafens Shenzhen – für weitere große Störungen im Schiffsverkehr, was die Ratenerhöhungen weiter verschärfte. Diese Unterbrechungen werden wahrscheinlich weiter anhalten.

Als sich die Sperrungen im April 2020 weltweit ausbreiteten, waren plötzlich Millionen von Containern in verschiedenen Häfen gestrandet und konnten nicht mehr nach China zurückkehren. Leere Boxen wurden an Orten zurückgelassen, wo sie nicht gebraucht wurden, und eine Neupositionierung war nicht geplant. Die massiven Arbeitsunterbrechungen durch die Pandemie-Sperrungen in den gesamten USA im Jahr 2020 und bis ins Jahr 2021 hinein betrafen nicht nur die Häfen, sondern auch die Container-Frachtdepots im ganzen Land sowie die Binnentransportlinien. Es gab keine Möglichkeit, die Container zurück nach China zu bringen, als China begann, die Industrie wieder anzufahren. Darüber hinaus verschärfte sich das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage nach leeren Containern, als die Reedereien “Leerfahrten” einführten oder Hafenanläufe ausließen, da leere Boxen zurückblieben und nicht zu den chinesischen Häfen zurückgebracht werden konnten. Es entstanden globale “Transportklumpen”.

Das dänische Beratungsunternehmen Sea-Intelligence schätzt, dass bis zu 60 % des heutigen Ungleichgewichts bei Containern in Asien auf Nordamerika zurückzuführen sind, wobei der größte Teil auf fehlende Investitionen in Kalifornien und anderen Häfen der Westküste zurückzuführen ist, die die größten Probleme mit der Überlastung der Häfen haben.

Ein japanisches Beratungsunternehmen schätzt, dass die Produktivität der Terminals in Nordamerika den asiatischen Pendants um bis zu 50 % hinterherhinkt, was zum Teil auf die geringeren Arbeitszeiten und den Widerstand der Gewerkschaften gegen eine weitere Automatisierung zurückzuführen ist, die den Gewerkschaften Arbeitsplätze wegnehmen würde. Die Aussage, dass die US-Regulierungsbehörde, die Federal Maritime Commission, die Frage der Verfügbarkeit von Ausrüstung als Teil einer weitreichenden Untersuchung des Lieferketten-Chaos, das die Häfen, Einzelhändler und Exporteure des Landes in den letzten acht Monaten heimgesucht hat, “untersucht”, ist kaum beruhigend. Die Engpassprobleme in den US-Containerhäfen sind seit mindestens 2015 chronisch und ernst. Die Aufgabe der Schifffahrtskommission ist es, genau solche Engpässe zu überwachen, bevor sie problematisch werden. Das tun sie aber offensichtlich nicht.

Als sich die Nachfrage nach Produkten aus China Ende 2020 erholte, wirkte sich das alles auf die Containerraten aus. Erschwerend zu den Containerengpässen kamen die weltweiten Sperrungen hinzu, die riesige Mengen des Welthandels einfroren. Auch der Bau von benötigten neuen Containern wird durch die Verknappung von Stahl und Holz sowie von Arbeitskräften stark eingeschränkt, was auf die Pandemiemaßnahmen zurückzuführen ist.

Die überwältigende weltweite Abhängigkeit von Warenlieferungen aus China hat sich in den letzten Jahren durch die Abriegelungen zu einer eklatanten Achillesferse der Weltwirtschaft entwickelt. Eine solche globale Verflechtung war kein Faktor in der Weltdepression der 1930er Jahre, im Gegensatz zum Wirtschaftsmythos über den Smoot-Hawley Tariff Act als Hauptursache. Damals waren es die internationalen Schuldenstrukturen, die auf New Yorker Banken zentriert waren.

Krise der Arbeitskräfte auf See

Verschärfend zur Krise bei der Verfügbarkeit von Containern und den Engpässen in den wichtigsten Häfen der Welt kommt eine wachsende Krise bei den Arbeitskräften in der Seefahrt hinzu. Die meisten nichtoffiziellen Seeleute für die Containerschifffahrt werden aus Asien rekrutiert. Nach Angaben der Internationalen Schifffahrtskammer sind die Philippinen der größte Lieferant von Ratings (qualifizierten Seeleuten), gefolgt von China, Indonesien, der Russischen Föderation und der Ukraine. Die weltweiten Corona-Sperren und zuletzt der Alarm über die so genannte indische oder “Delta”-Corona-Variante haben trotz fehlender Daten über ihre Tödlichkeit zu einer wachsenden Katastrophe in der Situation der Schiffsarbeit geführt. Schon vor der Ausrufung der Corona-Pandemie im Jahr 2020 war das Angebot an Schiffsarbeitskräften sehr knapp. Dieses Arbeitskräfteproblem wirkt sich auch auf die Schiffsfrachtraten aus.

Im Juli waren schätzungsweise 9 % oder 100’000 Seeleute auf Container- und anderen Schiffen über ihre gesetzlich festgelegte Zeit hinaus auf Schiffen gestrandet, da Länder von China bis zu den USA ihnen aufgrund von Corona-Beschränkungen verbieten, an Land zu gehen. Das bedeutet, dass Besatzungswechsel nicht stattfinden und die auf See gestrandeten Crews unter wachsendem psychischen und physischen Stress stehen, was sogar zu Selbstmorden führt. Hinzu kommen schätzungsweise 100’000 oder mehr Seeleute, die aufgrund der Pandemie-Sperren in verschiedenen Ländern an Land gestrandet sind und nicht arbeiten können. Die maximal zulässige Vertragsdauer beträgt 11 Monate, wie in einer UN-Seefahrtskonvention festgelegt. Normalerweise rotieren monatlich etwa 50’000 Seeleute an und von Bord. Jetzt ist es ein Bruchteil davon. Nach Angaben der Gewerkschaft International Transport Federation kommen bis zu 25 % weniger Seeleute auf die Schiffe als vor der Pandemie. Der Generalsekretär der Gewerkschaft erklärte: “Wir haben gewarnt, dass die globalen Marken auf den Moment vorbereitet sein müssen, in dem einige dieser müden und erschöpften Menschen endlich einknicken.”

An Land hielten die Pandemie-Sperrungen vor allem in Kalifornien Tausende von Arbeitern von den großen US-amerikanischen Häfen in Los Angeles und Long Beach fern, so dass es nicht möglich war, den sehr großen Rückstau an Containern abzubauen, bevor weitere ankamen – ein bisschen wie die Plage des Zauberlehrlings. In Nordamerika herrscht derzeit ein Ungleichgewicht von 60 %; das bedeutet, dass von 100 ankommenden Containern nur 40 exportiert werden. Sechzig von 100 Containern stauen sich weiter an.

Drewry schätzt, dass diese negativen Faktoren in den nächsten Jahren auch zu einem jahrzehntelangen Mangel an Offizieren im Verhältnis zur Besatzung in der Welthandelsflotte führen werden. All dies unterstreicht, wie extrem fragil und brüchig das Liefersystem der globalisierten Weltlieferketten heute ist. Die globalen COVID-Lockdowns haben weitaus gravierendere langfristige Auswirkungen, als den meisten bewusst ist. Die Weltwirtschaft ist ein dynamisches, hochkomplex vernetztes Netz, das sich nicht wie ein Lichtschalter aus- und einschalten lässt.