Das Geschäft mit dem Tod: Wie die US-Transplantationsindustrie Patienten vorschnell zu Organspendern macht
Ein investigativer Bericht der New York Times zeigt das erschütternde Bild eines Systems, das unter staatlichem Druck, Profitinteressen und organisatorischer Aggressivität das Leben von Patienten aufs Spiel setzt.
Es geht um nichts weniger als die Frage: Werden Menschen in den USA zu früh für tot erklärt, um ihre Organe entnehmen zu können?
Hintergrund: Druck zur Steigerung der Organspenden
- In den USA warten über 100.000 Menschen auf ein Spenderorgan.
- Seit 2020 bewertet das US-Gesundheitsministerium (HHS) die sogenannten Organ Procurement Organizations (OPOs) nach der Anzahl der durchgeführten Transplantationen.
- Folge: massiver Druck auf Krankenhäuser und OPOs, mehr Organe zu beschaffen – koste es, was es wolle.
- Besonders stark ausgeweitet: die Spende nach Kreislauftod (Donation after Circulatory Death, DCD).
- Patienten sind im Koma, leben noch mit minimaler Hirnaktivität.
- Nach Abschalten der Geräte muss innerhalb von 1–2 Stunden der Herzstillstand eintreten, sonst sind die Organe wertlos.
- Die Entscheidung, ob ein Patient „nicht mehr lebensfähig“ ist, bleibt eine medizinische Prognose – mit fatalen Folgen.
Dokumentierte Fälle – ein Skandal mit Namen und Opfern
Die NYT dokumentiert eine Reihe erschütternder Fälle:
- Misty Hawkins (Alabama)
- 42 Jahre, nach Erstickungsunfall im Koma.
- Nach 103 Minuten vom Arzt für tot erklärt, OP zur Organentnahme eingeleitet.
- Während der Operation schlug ihr Herz wieder – sie atmete.
- Chirurgen mussten abbrechen. Ihre Mutter erfuhr erst ein Jahr später durch die Presse, was passiert war.
- New Mexico
- Eine Frau sollte nach Entscheidung der Familie als Spenderin dienen.
- Angehörige bemerkten, dass sie Anzeichen von Bewusstsein zeigte.
- Sie erholte sich – wäre aber beinahe lebendig ausgeschlachtet worden.
- Florida
- Ein Mann weinte und biss auf seinen Beatmungsschlauch.
- Trotzdem wurde er vom Lebenserhaltungsgerät genommen, damit Organe entnommen werden konnten.
- West Virginia
- Ein 27-Jähriger, teilweise gelähmt, wurde im OP gefragt, ob er spenden wolle – unter Sedierung.
- Er kommunizierte durch Blinzeln, dass er nicht einverstanden sei.
- OPO-Mitarbeiter wollten trotzdem weitermachen.
- Colorado
- Eine Patientin weinte und schaute um sich, bevor die Geräte abgeschaltet wurden.
- Ärzte taten es trotzdem. Eine beteiligte Technikerin sagte später: „Ich fühlte mich, als hätte ich beim Töten mitgeholfen.“
Systemische Fehler – eine Auflistung
- Falsche Todesfeststellungen: Patienten zeigten noch Herzschlag, Atmung, Reflexe oder Bewusstsein.
- Zeitdruck durch Organverfügbarkeit: Ärzte erklärten Patienten für tot, damit Organe „rechtzeitig“ verfügbar waren.
- Einflussnahme durch OPOs: Familien wurden gedrängt, Ärzte überredet, auch Medikamente wie Morphin oder Propofol eingesetzt, um den Tod zu beschleunigen.
- Ignorieren von Angehörigen: Bedenken von Familienmitgliedern wurden als „Reflexe“ abgetan.
- Mangelhafte Ausbildung: Besonders in kleineren Kliniken konnten junge Ärzte nicht zwischen Reflexen und echten Lebenszeichen unterscheiden.
- Mangel an Aufsicht: OPOs sind weitgehend selbstreguliert, Kontrollen durch Bundesbehörden oberflächlich.
- Konflikt der Interessen: Patientenversorgung vs. Organbedarf – Ärzte geraten in eine doppelte Rolle.
Ethische Katastrophe
- Menschenrechte verletzt: Organspender wurden zum Teil lebendig aufgeschnitten.
- Vertrauen zerstört: Familien erfuhren erst Jahre später, was tatsächlich geschah.
- Geschäftsmodell: Aus Leben und Tod wird ein Markt. OPOs profitieren, Kliniken werden nach Zahlen bewertet.
Wie Bioethiker Robert Truog von Harvard sagte: „Wenn die Protokolle korrekt angewendet würden, könnte so etwas nicht passieren.“
Doch genau diese Protokolle werden offenbar systematisch umgangen.
Politische Brisanz
- Der US-Kongress hat Anhörungen durchgeführt, nachdem ein Mann in Kentucky – bereits auf der Entnahmeliste – plötzlich wieder zu Bewusstsein kam und heute noch lebt.
- Bundesuntersuchungen zeigen, dass allein in Kentucky 73 Fälle dokumentiert wurden, in denen Lebenszeichen ignoriert wurden.
- Dennoch: OPOs und Kliniken weisen Kritik zurück, sprechen von „Ausnahmefällen“ – obwohl die Häufung ein Systemproblem offenbart.
Fazit: Organtransplantationen in den USA – ein System außer Kontrolle – nur in den USA?
Die New York Times hat offengelegt, dass es in den USA nicht nur um Leben retten geht, sondern auch um Zahlen, Druck und wirtschaftliche Interessen.
Das Ergebnis: lebende Menschen laufen Gefahr, für tot erklärt zu werden, um ihre Organe zu entnehmen.
Was als Hoffnung für Kranke gedacht war, droht zu einem medizinisch-ethischen Albtraum zu werden.
Solange das System der Selbstkontrolle und Erfolgsdruck herrscht, gilt:
Organspende kann in den USA auch bedeuten: der Tod wird beschleunigt – nicht abgewartet.


